Messages from Heaven, Sir Frederick Hendl Speaking
Joachim Martini zum 65. Geburtstag, 1996
(Auszug, Volltext als
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(.....) Aber auch in Austria wurde ich bekannt. Wie heißt dieser Kerl? Mouson, Morton? So ähnlich nannte er sich jedenfalls zu Lebzeiten, auch dies habe ich in der Bibliothek herausfinden können. Sie wissen doch, das kleine blatternnarbige Männchen, dessen Kopf auf der Verpackung dieser gefüllten Schokoladenkugeln abgebildet ist - dieses Süßzeug, das sie drüben am Weihwasserhäuschen verkaufen. Wie auch immer der Kerl unten hieß, hier nennen sie ihn mittlerweile jedenfalls "Tommie" oder auch mal "pinball wizzard". Er soll früher ein Billard-Fanatiker gewesen sein, heute ist er der ungekrönte Flipper-König in seiner Abteilung. War auch ein längerer Artikel im "Observatore angelorum", wie er mit seiner Salzburger Zocker-Clique grundsätzlich alle Preisgelder abräumt. Den werden Sie doch kennen, Sir, diesen Mouson, über den haben sie doch schon vor dem Farinelli einen Film gedreht, lief neulich in den "Wolken-Lichtspielen", hieß "Amadeus", wenn ich mich recht erinnere. Ein eher etwas befremdliches Machwerk, der Morton grunzt dauernd zwischen dem Komponieren und dem Billardspielen mit den Hofdamen ums Spinett und rülpst und furzt fortwährend... Haben Sie nicht gesehen...?
Persönlich habe ich diesen Tommie jedenfalls noch nicht treffen können, obwohl er auch schon länger hier ist, aber natürlich in einer anderen Abteilung. Er kam nämlich rund dreißig Jahre nach mir. Aber ich habe seine Musik gehört, ganz hübsch, schmeichelnd, anmutig, leichtfüßig. Man muß sich zwar gewöhnen, neue Klänge, ungewöhnliche Satzweisen anderer Instrumente... Er hatte sicher eine kleine Basetthorn-Manie, der Herr Mouson, aber wer hat keine Vorlieben oder Schwächen?
Wie kam ich denn nun wieder darauf, Sir? Ah ja, also dieser Kugler, äh, Mouson aus Salisbury - vormals Austria, jetzt Abteilung 1756/91, "Maria Theresia und näheres kulturelles und geschichtliches Umfeld" - hat ausweislich einer gedruckt vorliegender Partitur meinen kompletten "Messiah" weitgehend neu instrumentiert; d.h. im wesentlichen hat er Basetthörner anstelle der Oboen eingefügt und sich um colla parte-Fragen gekümmert, nun, alles Geschmackssache, aber: wie ich in der Bibliothek nicht nur beim Hin- und Hertragen seiner meterlangen und zentnerschweren Gesamtausgabe - nein, ich habe sie natürlich auch studiert - schließlich auch feststellen konnte, der Kerl hat genug eigene Sachen geschrieben, in seinem kurzen Leben vielleicht mehr Papier als ich mit Notenkringeln bemalt. Opern, sogar italienische, mehrteilige Orchesterwerke, die sie Sinfonien nennen, Instrumentalmusiken, was auch immer. Sein Werkverzeichnis, der Kerl ist nur fünfunddreißig geworden, umfaßt über 600 Nummern! Woher und wieso nimmt der sich noch die Zeit, nur aus reinem Übermut und zu Studienzwecken, in meinen Werken...?
Ganz allgemein ausgedrückt, bei aller Selbstzufriedenheit, Sir - und Ehre wem Ehre..., aber dieser Nachruhm in England, das "Halleluja" als heimliche Nationalhymne, die Händelforschung in Halle, eine richtige Oratorienbewegung in Deutschland, Music for the Royal Fireworks hier, Wassermusik da, Sir...
Die Frage muß doch gestellt werden: was wollen die von mir, was wollen die von uns? Es geht ja schließlich nicht nur um mich, auch um Tommie, also Mouson selbst, und um einen Haufen anderer, die teilweise schon seit Jahrhunderten hier in den verschiedensten Abteilungen konserviert und aufbewahrt werden; Bach, Telemann, Buxtehude, nur um mal die deutschen Kollegen zu nennen, die so etwa aus meiner Zeit stammen, aber auch jüngere: Brahms, Reger oder auch Monteverdi, Ockegem, Dufay oder auch die, für die Herr Mouson Sonderbesuchserlaubnis hat, wegen angeblicher Seelen- oder Stilverwandtschaft, dieser freiheitssüchtige, aber stets unleidliche Herr Beethoven aus Bonn, der ewige Hofschranze Haydn, zuletzt in London ansässig, was die Sache nicht grundsätzlich besser macht, und dieser gute Mensch aus Mannheim, Mr. Stamitz, der scheinbar selbst nicht weiß wie er in diese Gesellschaft kam. Und dann noch die ganze sonstige musikalische Tierwelt: die Biber, Sträuße und Wölfe, die sind ja auch betroffen, genau wie ich.
Sir, die Frage drängt sich einfach auf: was wollen die von uns?
Sie sehen, ich habe mir einen Überblick verschafft, was da gespielt wird, da unten, mir auch heimlich einen CD-Spieler organisiert. Ist natürlich streng verboten, aber was soll's. Muß mich halt vorsehen, die Sache ist brisant. Sie werden es sicher schon bemerkt haben, wie das hier oben läuft: sie wollen einen in seinem unverfälschten historischen Kontext erhalten. Deswegen kommen wir eben aus unseren Abteilungen so schwer heraus, sie erlassen uns zwar unsere weltlichen Leiden und Gebrechen - Sie erinnern sich, daß ich plötzlich wieder sehen konnte? - aber ansonsten sollen wir uns nicht weiterentwickeln oder verändern.
Nun, für meinen Teil konnte ich dies - es wird Ihnen kaum entgangen sein - weitgehend hintergehen. Das CD-Gerät hat mir unschätzbare Dienste geleistet, mich in die Lage versetzt, viele musikalischen Erscheinungen nach meiner Zeit kennenzulernen. Wie ich mir sonst ein Pianoforte, ein Saxophon vorstellen sollen? Es gibt hier ja nur abteilungsinterne Orchester und Konzerte. Wie ich dieses heimliche Musikhören genieße!
Aber es gibt da auch eine weniger angenehme Seite - wie soll ich sagen? - eine Art Wermuthstropfen. Etwas kommt da auf uns hier oben zu, das, nun äh, das uns in unserer gegenwärtigen Situation einfach nicht recht sein kann. Ich sage es ungern, Sir, und ich weiß, ich bin ungerecht, ich sage es ungern, aber einer muß es doch mal sagen und jetzt sage ich es halt: Gott behüte uns vor dem Tag, an dem auch nur einer dieser Herren Harnoncourt oder Leonardt oder einer dieser holländischen Barockkader hier oben abgeliefert wird - das ist doch Wasser auf die Mühlen! In unserer Abteilung jedenfalls kann man dann die paar humanitären Verbesserungen, die wir über die letzten Jahre informell, unbemerkt, en passant durchsetzen konnten, freier Zugang zur Hammondorgel oder die Mitbenutzung der Ventilhörner der Wagner-Abteilung, das können wir doch praktisch wieder vergessen! Die neu angekommenen Herren werden sich kurz nach ihrem jüngsten Gerichtstermin in die gerade aktuellste Abteilung setzen, dort für eine Weile praktisch unbegrenzte Möglichkeiten haben, aber, das ist doch, was auf uns zukommt: wenn die hier oben weiter machen wie unten, werden sie bewußt oder unbewußt zur Verschlechterung unserer Situation beitragen. Wir werden wieder abwechselnd die Blasebälge treten müssen, auf die alten quietschenden Jagdtuten zurückgreifen! Wir hatten doch alle geglaubt, das sei nun endgültig vorbei; genug schließlich, daß wir noch mit diesen stinkenden Perücken herumlaufen müssen und uns immer dicker einpudern, statt uns wie andere zu waschen.(......)
Frankfurt/Leinsweiler im November 1995
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