CARL THIEMANN
(10. November 1881 Karlsbad – 3. Dezember 1966 Deutenhofen/Dachau)
„Gottesgab im Winter“ (1910)
Farbholzschnitt, 29,5 x 20,5 cm
Ausgabe des Deutschen Künstlerbundes DKB 44
Kantina Karantena (2) – Folge 3
Mucsi, 1. April 2021 (Gründonnerstag)
Senile Robinsonade? (Vor-)Letzter Alters(hoch)sitz vor dem Pflegeheim?
Diesen „cliff hanger“ samt Aufmacherbild lassen wir hier jetzt mal so stehen und kommen gehen Ende der Episode wieder darauf zurück.
Die nötige Spannung bis dahin erhalten freizügige Einblicke in die Kantina-Kochtöpfe und die explodierende Natur um uns herum. Es könnte ein Schmetterlingsjahr werden. Zu den Tagpfauenaugen und Zitronenfalter sind überraschend früh ein Segelfalter und ein Landkärtchen gekommen. Heute mäandert mehrere Male ein weiß-oranges Aurorafalter-Männchen vor dem Haus durch die Sonne. Wer jetzt nach Belegfotos fragt, soll es bitte selbst versuchen und wird schnell merken, dass der Auslöser einer Fotokamera zwei getrennt wirkende Funktionen hat. Er sorgt zum einen dafür, dass die Kamera als Abbildung das speichert was wir später auf einem Bild wiedersehen wollen. Gleichzeitig sorgt der Auslöser aber auch dafür, dass Schmetterlinge zugeklappt und gegen unerwünschtes Fotografieren geschützt werden. Seit Einführung der Digitalfotografie haben die meisten Schmetterlinge serienmäßig Bluetooth. Von dieser Funktion des Auslösers wissen die wenigstens, ganz einfach weil die wenigsten Insekten fotografieren. Es gibt Auslöser auch mit der Zusatzfunktion „Wegfliegen bevor der Autofokus fertig gemessen hat“ und „Grashalm wackeln lassen“. Auf den Fotos ist dann meist nichts Scharfes oder überhaupt gar nichts zu sehen. Immerhin sei versprochen: wenn noch etwas Vorzeigbares gelingt, wird es nachgereicht. Oder wir speisen mit Klammermaterial ab ……
Übrigens ist auch bereits die erste Baby-Eidechse gesichtet worden. Und wenn wir beim Nachwuchs sind: in einem riesigen Gurkenglas, dass im vergangenen Jahr gemeinsam mit einem 8-jährigen Jungen, der zu Besuch war, als „Labor 1“ eingerichtet worden ist, müsste noch unter reichlich vertrocknetem Laub die Puppe eines Mittleren Weinschwärmers auf die Auferstehung und Himmelfahrt des ihr innewohnenden Falters warten. Ist die Tatsache, dass heute Gründonnerstag ist, ein Omen? Kommt der Weinschwärmer in der Osternacht? Wohl eher nicht. Wenn er überhaupt kommt und wenn es überhaupt eine noch vitale Puppe ist, die unter den Bedingungen eines draußen im Schatten abgestellten und oben offenen Gurkenglases den Winter überdauert hat. Die gut 10 cm lange fette Raupe
(Archiv-Bild) ist zwar nachgewiesen lebend mit einem kleinen Vorrat an frischen Weinblättern in „Labor 1“ eingezogen, aber nach ein paar Tagen hatte sie sich eingesponnen und war abgemagert. Um sie herum lagen etliche etwa 1 cm lange grüne Stückchen mit etwa ihrem vorherigen Körperumfang. Die Raupe scheint vor ihrer Verpuppung allen weltlich Ballast abgestoßen zu haben und hat vor der bevorstehenden Metamorphose erst einmal den Darm entleert. Ob das alles so seine Richtigkeit hat und den vorgesehenen Gang genommen, lässt sich erst sagen, wenn der Schwärmer irgendwann tatsächlich im Glas sitzen sollte. Denn wer hat schon einmal eine solche Metamorphose komplett gesehen oder durchlebt? Wir müssen warten. Lernen aber doch schon einmal von der Natur, dass wenn wir einmal ein schöner Schmetterling werden wollen, wir immer schön auf den Stuhlgang achten müssen. Mit vollem Darm kommt man nicht in den Himmel.
Zurück zum Ernst des Lebens, es muss gegessen werden. Von Montag, Dienstag, Mittwoch und heute Donnerstag seien zwei Mahlzeiten erwähnt, die wenigstens knapp über der Schwierigkeitsstufe „Kühlschranktür schwingen“ angesiedelt sind.
Gestern gab es Saltimbocca von der Schweinelende und spanische Kartoffeltortillas.
Die Kartoffeltortilla kann von den Vortagen sein, sie hält sich gut eine Weile im Kühlschrank, es gibt auch exzellente Ware ohne Konservierungsstoffe im Lebensmittelhandel. Das hat den Vorteil, dass man ohne großen Zauber eine sehr schmackhafte Begleitung zu einer Speise bekommt, um die man sich sorgenfrei kümmern kann, ohne zweite und dritte Töpfe in Betrieb zu haben und überall umrühren und aufpassen zu müssen. Die Tortilla legt man im Ganzen mit minimal Fett einfach in eine mäßig heiße Pfanne und lässt sie beiläufig bräunen und durchwärmen. In Dreiecke oder Scheiben geschnitten, sieht sie zudem beim Anrichten im Anschnitt adrett aus und ist ein relativ neutraler Begleiter zu diesem und jedem. Saltimbocca ist dann nichts weiter als flach geklopfte, eingeklappte und mit Zahnstochern zusammen gehaltene Fleischscheiben – hier Schweinelende – in denen man eine Scheibe rohen oder gekochten Schinken und jeweils ein Blatt Salbei verstaut hat. In heißer Butter oder heißem Öl bis zum gewünschten Gar- und Bräunungsgrad wenden. Für die Deko ein paar Salbeiblätter und Kirschtomaten mitlaufen lassen. Mahlzeit.
Heute dann ein paar einfache Spaghetti in Specksahnesauce.
Nudeln bissfest kochen, in einem zweiten Topf Zwiebeln und Speckwürfel in Öl oder Butter anschwitzen, später Sahne dazu geben, nach gusto Pfeffer, Knoblauch und gerne auch frische Kräuter. Sobald die Nudeln fertig sind unbedingt etwas heißes Kochwasser zurückhalten, dann abgießen. Nudeln zur Sahnespeckmischung heben, unterrühren. Das Nudel-Speck-Sahne-Gemisch mit dem Kochwasser zur gewünschten Konsistenz rühren. Erst die aus den Nudeln beim Kochen ins Wasser entwichene Stärke macht die Sauce cremig und geschmeidig. Die Nudeln wickeln sich hernach quasi von selbst um die Gabel. Einrollhilfen wie der allseits gerne benutzte Suppenlöffel werden entbehrlich.
Jetzt zurück zum eingangs vorgestellten Altershochsitz. In gewisser Weise Bubenkram, wir bauen ein Baumhaus. Oder eine Plattform, um vielleicht sogar nachts versteckt hinter einer Plane Füchse und Rehe zu beobachten. Oder eine Plattform, um abends auf dem Liegestuhl von einer kühlenden Prise umweht zu werden. Die Vorrichtung zwischen den dicken Stämmen einer kleinen Baumgruppe ist für all das gut. Hier ist ein Platz wo selbst am heißesten Sommerabend noch ein letztes Lüftchen weht. Und sie ist liegt knapp über einem Mensch-, Haustier- und Wildwechsel, der quer über den oberen Teil unseres Grundstücks führt. Nachbarn wechseln in ihren auf der anderen Seite gelegenen Gemüsegarten, Hunde und Katze ziehen Kreise entlang ihrer Revier- und Fortpflanzungsgrenzen. Fuchs, Hase, Igel und Fasan streifen im Dunkeln herum, dazu beinahe täglich der Dachs, der Marder und Rehe, gelegentlich auch Hirsche und Wildschweine.
Hier die Ausbeute der Fotofalle in der Nacht auf den – zufällig und ohne Scherz – 1. April:
Vor allem aber ist der Hochsitz gut für das „Kind im Manne“, das nach einem langen Erwerbsleben überwiegend hinter Bürofenstern wieder hervortreten darf, kann und soll. Ein Jungbrunnen aus Holz und Schrauben.
Mucsi, 7. April 2021 (Mittwoch)
Die vergangenen Tage zeigten was „Aprilwetter“ ist. Den Ostersonntag konnten wir noch leicht bekleidet in der Sonne verbringen und uns Sorgen um einen Sonnenbrand machen. In den Tagen danach sank das Thermometer in der Nacht unter Null und gestern wirbelten nach einer stürmischen Nacht ein paar verirrte Schneeflocken über das in Raureif erstarrte Gras vor dem Haus.
Ein paar notwendige Arbeiten wurden in der Sonne anfangs noch erledigt, wie die Austriebsspritzung des Weins, danach sind wir jetzt aber innerlich bereits auf die Rückreise nach Frankfurt eingestellt. Quarantäne hier ist zwar jetzt kein Thema mehr, aber die Pandemie bestimmt auch diese Entscheidung: für Ende kommender Woche ist ein erste Impfmöglichkeit in Frankfurt angeboten worden, die wir nicht ausschlagen wollen. Wir beschäftigen uns jetzt wiederholt intensiv mit der Seite www.einreiseanmeldung.de und was die dort bekannt gemachten Regelungen für uns konkret bedeuten: COVID-Test (welcher?) kurz vor Abreise noch hier in Ungarn?, dürfen wir überhaupt noch unterwegs übernachten oder müssen wir uns zwingend frisch von der Grenze weg direkt nach Frankfurt in die Einreise-aus-einem-Hochinzidenzgebiet-Quarantäne verfügen?, wann und wie genau kommen wir mit einem zweiten negativen Test nach fünf Tagen verfrüht da wieder raus?, kann man aus dieser Quarantäne heraus mal kurz zum Impfen ausbüxen? Weil all diese Fragen in den verschiedenen Quellen nur zu 95% eindeutig beantwortet werden, zieht man auf der Suche nach den verbleibenden 5% weitere Internetseiten hinzu und wird auf 87% zurückgeworfen. Nach einem weiteren Versuch ist man wieder bei 94% und schon bricht über allem der Abend herein.
Nach den Osterfeiertagen waren wir ansonsten gestern zum ersten Mal „draußen“, um ein paar fast unumgängliche Erledigungen und Einkäufe im Baumarkt zu machen und die wenigen Lücken in unserem Lebensmittelvorrat zu schließen, bevorzugt mit Schokolade und Marzipaneiern, die wir, um das kühle Wetter zu ertragen und Ostern nachzufeiern, zu unserer ansonsten doch eher vernunftgesteuerten Diät hinzunehmen. Etwas Prosecco kann auch nicht schaden. Und wenigstens für die allerwichtigsten Fußballspiele gibt es jetzt Erdnüsse, wenn auch gestern Abend Manchester-Dortmund stark von der mehlig-muffigen Ware von Aldi beeinträchtigt wurde. Die namentliche Nennung hat sich der Händler mit dieser Produktqualität redlich verdient, zu einem Spiel von Eintracht Frankfurt wird so etwas jedenfalls nicht gereicht.
Ein Ergebnis der Einkaufsrunde von gestern sei noch erwähnt, weil es den Alltag hier in gravierender Weise erleichtert: wir können endlich eine unserer Rasenmäher-Karkassen entsorgen, einen jener erbarmenswürdigen Gartenhelfer, dem von pfiffig-findigen Aushilfsreparateuren die Öffnung für die Mulchklappe zugeschweißt wurde, weil die zerbrochene Abdeckung nicht nachzubestellen war. Außerdem war der Selbstantrieb der Räder auf wundersame Weise schon lange abhanden gekommen. Statt dass er von selbst zog, musste er mit immer schwerer werdendem Grasfangsack den Hang hinaufgeschoben werden. Zu allem Überfluss ließen Zündung und Motor die verzweifelt blank gebürstete Zündkerze ein ums andere Mal und zuletzt ganz im Stich. Vielleicht kann Dich noch ein Wunderheiler retten, fürs Erste scharrt jetzt aber schon Gott-sei-Dank ein Nachfolger mit dem Allradantrieb.
Zu den Mahlzeiten gegessen wird in diesen Tagen ansonsten was auf den Tisch kommt. Wir arbeiten eher unaufgeregt unsere Vorräte ab, als dass wir kunstvoll mit den Kochlöffeln jonglieren. Drei tiefgefrorene, von einem Bekannten, zusammen mit Zwiebel und selbstangebauten Kartoffeln gespendete Hühner-Unterkeulen werden mit etwas Suppengemüse, einer Nelke, einem Lorbeerblatt sowie Ingwer und Zitronengras in eine asiatisch anmutende Suppe verwandelt. Das Fleisch wird hernach von den Knochen genommen und in sehr dünne Scheiben geschnitten und mit ein paar Streifen Romana-Salat zurück in die Brühe gegeben. Eine größere Menge kurz vor dem Servieren in feinen Streifen in die heiße Suppe geschnittener Ingwer verwandelt die schlichte Hühnersuppe in ein Heilelixier. Sie wärmt und bekämpft Erkältungskeime in Mund und Rachen. Chili, Salz, Sojasauce und Sesamöl nach Belieben bei Tisch beigeben.
Wenigstens sei aber noch von der Erstbesteigung der „Salzberger Nocke“ berichtet. Seit längerer Zeit war schon immer mal wieder die Rede von dieser sagenumwobenen, in der Operette besungenen Süßspeise aus Westösterreich gewesen. Eine eigentlich sehr gut kochende Bekannte sprach davon, dass sie gerne mal Salzburger Nocken essen würde, aber vor den in der einschlägigen Kochliteratur berichteten Tücken und Schwierigkeiten zurückschreckt. Wir hatten irgendwann zugesagt, es einmal für sie zu probieren. Aber blamieren will man sich ja auch nicht, so kam es zu diesem Probelauf im Schatten der Quarantäne. Das Ergebnis hat uns überzeugt, muss aber gelegentlich mal verglichen werden mit Nocken, die ein versiertes Restaurant serviert. Erst dann kann man sagen, ob sie wirklich „süß wie die Liebe und zart wie ein Kuss“ waren. Ja, sie waren süß und zart, sogar luftig-fluffig, aber möglicherweise gibt es da ja noch Luftpolster nach oben.
Wir haben es so gemacht:
3 Eier trennen, 1 Eigelb zurückhalten, 2 Eigelbe anderweitig verwenden.
Eiweiß mit einer Prise Salz anschlagen,
2 EL Zucker, 1 EL(!) Vanillezucker hinzufügen, dann Eiweiß sehr fest schlagen.
1 EL Mehl gut verteilt über den Eischnee sieben,
das zurückgehaltene Eigelb mit einer Gabel glatt rühren und ebenfalls über den Eischnee geben.
Mehl und Eigelb schnell und eher flüchtig unter den Eischnell heben, lieber ein paar gelbe Streifen in den Nocken riskieren als jetzt die Luft wieder aus der Masse vertreiben.
Eine ofenfeste Form mit Öl auspinseln und mit Zucker bestreuen.
Mit einer Teigkarte großen Nocken in der bekannten Salzburger-Nocken-Gebirge-Form so in die Form setzen, dass beim Hochziehen der Karte schroffe Bergkämme stehen bleiben, die im Ofen stärker bräunen als die sanften, tiefer gelegenen Abhänge.
Im vorgeheizten Backofen ca. 20 Minuten bei 180 Grad Ober-Unter-Hitze backen.
Schnell noch etwas Neuschnee drüber pudern und sofort servieren.
Ein Letztes für heute und bevor wir uns noch einmal diese Tagebuch-Kurzstaffel abschließend melden: die Passauer Lauchzwiebeln sind wieder aufgetaucht: „Komisch, warum riecht jetzt meine Handtasche nach Leberwurst?“. Guten Appetit.
Vorgestellt: Carl Rotky „Winzerhaus“
CARL ROTKY
(Graz 21. April 1891 – Grottenhof 16. August 1977):
„Winzerhaus bei Deutschlandsberg, Steiermark“
Farblinolschnitt, 16 x 13,5 cm,
um 1925, WVZ Trummer 236.
Neuerwerbung Dezember 2020.
Kantina Karantena (2) – Folge 2
Mucsi, 26./27. März 2021 (Freitag/Samstag)
Nach zwei ganzen Tagen vor Ort ist das Haus vom Winterstaub befreit, das Leben findet am Freitag und Samstag tagsüber vorwiegend im schönsten Vorfrühling draußen statt. Etwas voreilig stehen ein paar Mirabellenbäume in voller Blüte. Um die Äste herum summen und schwirren Insekten. Irgendwo versteckt steht eine Parfümfachverkäuferin und versprüht einen altmodischen Damenduft.
Die Blüten dieser nicht sehr schmackhaften halbwilden Sorte haben Nachtfröste bisher immer gut überstanden. Sorgen muss man sich aber um Aprikosen und Weinbergspfirsiche machen. Wenn es noch einmal richtig kalt wird, gibt es später keine Früchte.
Am Boden im kaum fingerhohen Gras winzige Blüten von Vergissmeinnicht, von Veilchen, von aus Beeten ausgebüxten oder echt wilden Traubenhyazinthen und erstaunlich vielen anderen Frühblühern oder Vordränglern, denen man als Stadtbewohner sonst niemals begegnet. Silberdisteln reservieren sich jetzt noch ein Plätzchen, bevor das Gras später schnell allen Boden zuwuchert. Aber auch die ausgepflanzten Stauden und Blumen schieben mächtig. Bei der Bestimmung der vielen verschiedenen Pflanzen hilft jetzt nur noch ein sehr leistungsfähiges Langzeitgedächtnis und die Erinnerung an Pflanzenbestimmungsübungen im Bio-Unterricht in der Quinta oder Sexta bei der Bestimmung weiter. Aber nach knapp 60 Jahren ist da nur noch ein Salat aus Worteilen: Gemeiner Gundermann, Milchstern, Lungenkraut. Bevor sich jetzt jemand blamiert lassen wir einfach in paar Bilder sprechen.
Das Tagesbuch handelt ja vom Essen, aber auch vom Trinken. Das Kantina-Personal hat bereits vorgestern begonnen, sich um die Getränke zu kümmern, die ab Herbst 2022 auf der Speisekarte stehen werden und daher die Weinstöcke gerichtet, an denen im Herbst die Trauben für den diesjährigen Wein hängen sollen. Wie sich das alles verhält haben wir ja schon 2018/2919 detailliert berichtet (s. Weintagebuch 2018) und bleibt hier am Rande.
Was die Quarantäne angeht, haben wir uns mittlerweile darauf eingestellt, dass uns zwar keiner kontrolliert, aber erwartet wird, dass wir sie selbst einhalten. Wir werden brav sein.
Und auf eine Weise auch nicht. Gestern haben wir verbotenerweise am Nachmittag unseren Scheiterhaufen aus Holzschnitt vom Vorjahr abgefackelt.
Das macht hier jeder so, möglichst unauffällig. Die nächste Polizei ist weit weg und verpfiffen wird nicht so schnell. Und da wir nicht überwacht werden, kann uns auch niemand überraschen.
Am Abend gab es am Freitag kalten gebeizten Lachs mit Weißkrautsalat im Stille von „coleslaw“, also klein gehackt und mit Mayonnaise, womit das Rezept schon praktisch vollständig enttarnt ist, wenn nur noch etwas Salz und Pfeffer dazu käme. Der Lachs kam aus einer mit eingereisten Packung und muss nicht für kulinarische Belehrungen herangezogen werden. Dazu Pellkartoffeln. Hausmannkost.
Heute Abend wird es wohl ähnlich frugal. Eine Doppelpackung Handkäse ist mit Musik auf den Weg gebracht und darf ziehen. Dazu wird es Butterbrote geben. Eine aus Resten angesetzte Gemüsebrühe könnte bei Bedarf den warmen Teil des Abendessen bilden.
Mucsi, 28. März 2021 (Sonntag)
Am ersten Sonntag nach unserer Einreise am vergangenen Mittwoch knickt das Wetter ein wenig ein. Es ist wolkig, ein leichter Wind weht unangenehm unter die Klamotten und treibt in die warme Stube. Wir praktizieren „Lazy Sunday“. Leichtere Alibi-Verrichtungen wie einen Wasserschlauch ausrollen und anschließen, der zum Ausspülen von Gerätschaften im Kellerhaus in den kommenden Tagen gebraucht wird, sind nicht ausgeschlossen helfen den Tag strukturieren.
Die eigentlich für heute fest vorgenommene Austriebsspritzung des Weins wird vertagt, heute treibt er eh nicht mehr aus. Und morgen wahrscheinlich auch nicht.
Immerhin klärt uns ein übernächster Nachbar über den Quarantänezaun hinweg darüber auf, dass, nachdem im vorigen Jahr am Ort ein kleiner Laden geschlossen hat, in dem man Soda in Pfandflaschen kaufen konnte, jetzt immer am Montagfrüh jemand mit dem Auto vorbeifährt, der frisch gefüllte Flacons verteilt. Man hängt seine leeren Flaschen an den Zaun, daneben passend sein Geld und „zack“ hat man frisches Sodawasser. Das hat auch schon vor Corona kontaktlos so funktioniert.
Seltsamerweise nutzen wir die freie Zeit nicht, um groß aufzukochen, wird sind etwas träge. Das Grillen von Fleisch-Gemüse-Spießen auf Holzkohle im Freien wird auf morgen, übermorgen verschoben. Der heutige Sonntag wird zum „Restetag“ erklärt: Krautsalat, Handkäse, Gemüsesuppe. Wenn das nicht reicht, wird spontan zugefüttert. An Tag 5 sind unsere Vorräte an kaltem Essen noch schier endlos.
Mucsi, 28. März 2021 (Montag)
Heute war der erste Grilltag des Jahres. Zu Mittag trumpft die Sonne groß auf, noch am späten Nachmittag kann man locker gekleidet im Freien sitzen und die wärmenden Strahlen genießen. Sonnenbrandgefahr.
Nachdem sich gestern kaum etwas bewegte, sind heute wieder jede Menge Insekten und Vögel unterwegs. Eine Holzbiene brummt wie ein Hubschrauber und zieht ihre Kreise.
Neben den ersten Tagpfauenaugen und Zitronenfaltern machen besonders die schwarzen Mauer- oder Solitärbienen mit ihren roten Hinterteilen Freude. Wir hatten sie schon abgeschrieben, nachdem die ausgehängten Bambusrohre seit Jahren nicht mehr bewohnt aussahen. Aber wir haben sie wohl immer nur verpasst. Nach wenigen Wochen gleich Anfang des Frühjahrs verschließen sie nämlich die Röhren mit Lehm und mauern so ihre Brut ein, die erst nach gut 10 Monaten im Folgejahr wieder herauskriecht und für ein paar Wochen die Ernte der ersten Frühlingstage weitgehend für sich hat. Eine gute Weile, bevor Scharen von Wespen, andere Bienen und marodierende Hornissen ihnen Konkurrenz machen oder ihnen gar nachstellen. Falls wir uns später nicht mehr sehen: bis nächstes Jahr!
Der Vormittag geht drauf für Gartenarbeiten rund ums Haus, Unkraut jäten, vertrocknete Stauden zurückschneiden. Und für Weinkellerarbeit. Der 2020-er Wein muss aus den Fässern gezogen werden, die unten zurück bleibende, dort abgesetzte Schicht aus Traubenrückständen, Schmutz und Hefen wird ausgespült und der Wein zurückgesetzt.
Am Nachmittag glüht die erste Holzkohle weiß und bräunt unsere – wie nennen sie jetzt mal so – Zigeunerspieße: Stücke vom Schweinenacken, Bauchspeck, Zwiebeln, Paprika.
Natürlich ist der „Zigeuner“ nicht sehr „p.c.“ und peinlicher wäre nur noch der Versuch jetzt noch etwas daran zu gendern, aber Corona und der explizite Anti-Multikulturalismus in der offiziellen aktuellen ungarischen Politik verursachen sarkastische Reflexe beim Denken und Sprechen.
Apropos Corona: Das Dorf trägt Maske. Die meisten Älteren sind bereits wenigstens einmal geimpft, aber es liegen auch Leute im Krankenhaus. Wir haben die Ohren auf was unsere eigenen möglicherweise anstehenden Impftermine in Deutschland angeht. Vieles lassen wir liefern, statt einkaufen zu gehen, neben Weißwein vom Balaton auch Holz und Schrauben aus einem Baumarkt in Budapest. Das reduziert Kontakte und wird auch nach Ende der Quarantäne weitgehend beibehalten.
Kantina Karantena (2) – Folge 1
Mucsi, den 25. März 2021
„Das Brot ist geknetet und geht vor sich hin. 100% Roggen, angesetzt mit Sauerteiggranulat und einer Spur Trockenhefe, dazu neben anderen Gewürzen und Sonnenblumenkernen ein ordentlicher Löffel Pulver vom Schabziegerklee (auch „Brotklee“) und Fenchelsamen, der südtiroler Einschlag ist gewünscht.“
So würde die zweite Staffel der Tagebuchreihe „Kantina Karantena“ beginnen, wenn wir nicht damit beginnen müssten, unseren derzeitigen Status zu schildern und mit dem geneigten Leser – während in der Küche das Brot geht und später gebacken werden will – zu vereinbaren, dass eine „Kantina Karantena“ auch dann eine Kantina Karantena sein darf, wenn gar keine Quarantäne offiziell angeordnet ist. Wir sind nämlich irgendwie in der Schwebe, in einer Art „vielleicht-aber-auch-nicht-oder-doch-Quarantäne“. Am Tor hängt kein Warnschild.
Dabei wähnten wir uns eigentlich auf der sicheren Seite und sind den Ratschlägen des deutschen Auswärtigen Amtes nachgegangen, das dringend empfiehlt, für Ungarn auch dann eine schriftliche Sondererlaubnis für die Einreise einzuholen, wenn wir eigentlich ansonsten mit unseren, im letzten Jahr für den Fall der Fälle noch schnell beantragten ungarischen Wohnsitzpapieren auch direkt einreisen könnten. „Es werden strenge Einreisekontrollen durchgeführt“. Gesagt, getan. Das Formblatt „COVID-06“ kann online und in Englisch eingereicht werden. Damit dann bereits erfasst sind Namen, Ausweisnummern, Ort der späteren Quarantäne, Einreisedatum, Grenzübergang, Autokennzeichen, zuständiges Polizeirevier für die Überwachung der Quarantäne. Nach 6 Tagen wiehert der Amtsschimmel in der Mailbox und bringt einen positiven Bescheid auf 5 dicht mit amtsjuristischem Ungarisch bedruckten Seiten mit sehr hoher „§“-Zeichen-Dichte. Aber die Sache ist schon klar: wir dürfen kommen, müssen aber (wieder) in Quarantäne, die von den gleichen Herren überwacht werden wird, die schon im vergangenen Jahr (Polizei Tamási) aufgepasst haben, an der Grenze wird eine Gesundheitsuntersuchung vorgenommen usw. usf. Und die Digitalisierung galoppiert: eingangs des Schreibens, das an der Grenze vorzuweisen ist, prangen zwei fette Bar-Codes und wir gehen davon aus, dass die später an der Grenze eingelesen werden und der Schimmel weitergaloppiert und beim zuständigen Polizeirevier Bescheid gibt, dass wir kommen und überwacht werden müssen.
Nach Eingang dieses Schreibens arbeiten wir noch in Frankfurt unsere XXXLLXXXL-Lebensmittelliste ab und packen das Auto.
Und zwar noch voller als im vergangenen Jahr, weil wir heuer auch nach der Quarantäne nur eher im Notfall in einen Supermarkt gehen wollen. Tagesaktuell ist die Corona-Situation in Ungarn und auch direkt hier im Dorf um uns herum nicht sehr prickelnd. Nicht nur gesundheitlich. Der gestrenge Staat verdonnert zusätzlich zum ohnehin vorhandenen Elend seine lieben Untertanen auch zu Geldbußen für das Nichttragen einer Maske in der Öffentlichkeit, die deutlich über dem liegen, was ein Teil unserer Dörfler hier monatlich als Grundsicherung einstreichen darf. Solches und auch das eigenmächtige Nichteinhalten der Quarantäne ist übrigens auch für Ausländer mit hoher Geldstrafe bewehrt, weswegen wir uns eben die einleitend geschilderten Gedanken machen und die Speisekammer mit Vorräten füllen.
Das Auto ist also gepackt. Wir reisen in Frankfurt ab, durch Österreich durch und nach Ungarn ein. Ab, durch, ein? War da was? Warum sind wir jetzt schon drin? Hinter Passau in Suben schielt der österreichische Grenzer nur aus der Ferne auf unsere deutschen Ausweise und winkt durch. Knapp vier Stunden später steuern wir als einziger PKW im Schritttempo auf die ansonsten verwaiste ungarische Grenzkontrollstelle auf der Autobahn bei Hegyeshalom zu, innerlich bereit, streng(!) einreisekontrolliert und sofort gescannt zu werden. Schildkappe ist schon nach hinten geschoben, das digitale Fieberthermometer hat freien Zugang zur Stirn, die Gesundheitsprüfung kann ihren Lauf nehmen.
Aber hat das eigentlich auch jemand dem diensthabenden Beamten gesagt? Bevor wir diese Frage beantworten – wie jetzt natürlich nicht mehr anders zu erwarten mit einem klaren „NEM“ (ung. „nein“) – schieben wir sicherheitshalber noch etwas ein, mit dem wir uns am Ende selbst erklären wollten, was da passiert ist. Was ist ein „Hungaricum“? Ein „Hungaricum“ ist ein schützenswertes nationales ungarisches Erzeugnis – z.B. der Kräuterlikör „Unicum“ – oder eine typisch ungarische kulturelle Errungenschaft – wie z.B. dass die Männer einmal im Jahr Gulasch im Kessel über offenem Feuer kochen. So eine kulturelle Errungenschaft ist auch das tägliche Mittagessen um 11:30 Uhr, spätestens 11:45 Uhr. Das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben kommt um diese Uhrzeit weitgehend zum Erliegen. Das Land ist kollektiv unterzuckert und strebt in die Kantinen und Garküchen. Wir fahren auf den Grenzer so knapp vor 11:30 Uhr zu, sein Blick ist etwas glasig, Hirn und Grenzschutz versagen bereits weitgehend. Corona ist ein mexikanische Bier, Quarantäne ein lateinisches Fremdwort. Er fragt, ob wir Ungarn seien, wir outen uns als Deutsche. Er murmelt etwas auf Ungarisch, das wir nicht verstehen, und dreht ab. Ob er die hingehaltenen Papiere wahrgenommen hat, ist schwer zu beurteilen. „Sie können …..“, ja was bitte? Weiterfahren? Wir rollen los und suchen das Gelände ab nach einem Schalter, an dem man sich vielleicht registrieren kann, darf, muss, soll. Er kommt nicht hinterher gelaufen, kein Blaulicht blinkt auf, keine Sirene heult, als wir zögerlich und mit nur langsam zunehmender Geschwindigkeit auf die Autobahn gen Budapest rollen.
Sind wir jetzt in Quarantäne? Schwer zu sagen. Aber auch egal. Wir hätten sie uns ja auch selbst verordnet. Ein wenig misslich nur die Ungewissheit, dass wir nicht wissen, ob wir vielleicht selbst etwas falsch gemacht haben. Das können die „streng“ regierenden, authoritären Systeme ja ganz gut: verunsichern. Der Grenzer war eben ein Profi. Wir wollen aber auch nicht fragen („Gehe nicht zu Deinem Fürst ….“) und warten mal ab, ob wer vor dem Tor vorfährt und kontrolliert. Bislang Fehlanzeige.
Lange Rede, kurzer Sinn: die neue Staffel unserer kulinarischen Berichte kommt gewissermaßen jetzt aus der Pseudo-Quarantäne und zählt die Tage nicht wie beim letztem Mal mechanisch herunter bis wir wieder „frei“ sind. Es wird taktmäßig etwas lockerer zugehen.
Aber immerhin ist in der Zwischenzeit das Brot fertig geworden.
Wie eingangs angedeutet, eigentlich kein Wunderwerk, auch wenn es manchem, der gerade anfängt Brot zu Hause selbst zu backen, so vorkommen mag, weil die Küche eben mal aussieht wie eine Mehlkleisterfabrik. Es braucht aber doch eine gute Weile, bis man das richtige Gefühl für die Zutatenproportionierung, die Arbeitsschritte und die richtigen Zeitpunkte beim Teig gehen lassen und ausbacken entwickelt. Davon hängt am Ende die Porung ab, also die Größe und Verteilung der Lufteinschlüsse im Brotteig. Schnell wird so ein Brot sonst gerne auch zum Luftpolsterkissen oder zum Backstein.
Für dieses Brot haben wir am Morgen einen Vorteig gemacht aus
300 gr Roggenmehl 1150
1 Päckchen Trockenbackhefe (7 gr)
1 Päckchen Trockensauerteig (15 gr)
1 Miniprise Zucker (optional)
300 ml lauwarmem Wasser.
Sorgfältig wenigstens 10 Minuten mit dem Handrührgerät oder in der Küchenmaschine kneten. Danach abgedeckt an einem nicht zu kalten Ort gehen lassen. Gerne mehrere Stunden, Brot braucht viel Zeit. Zumal Hefe und Sauerteig in den Angaben oben bewusst unterdosiert sind und damit länger arbeiten müssen. Nicht von den Angaben auf der Hefepackung irritieren lassen, die sind auf „turbo“ ausgelegt, also auf Brot in 60 Minuten.
Im zweiten Schritt haben wir am Nachmittag dem Vorteig zugefügt
400 gr Roggenmehl 1150
18 gr Salz, aufgelöst in
300 ml lauwarmem Wasser
1 EL Schabziegerkleepulver (Brotklee)
1 EL gemahlener Koreander
1 El Fenchelsamen
eine Handvoll Sonnenblumenkerne.
Erneut sehr gut wenigstens 10 Minuten durchkneten und in eine dünn geölte und dann ausgemehlte Kastenform geben. Diese sollte zu nicht mehr als zwei Dritteln gefüllt sein, sonst eine größere oder eine zweite verwenden. Oben gut mit Mehl bestäuben. An einem nicht zu kalten Platz abgedeckt (2 gefaltete Geschirrtücher) so lange gehen lassen bis der Teig bis fast über der Rand gestiegen ist. Hier jetzt nicht ungeduldig werden, außerdem darauf achten, dass es keine starken Temperaturwechsel gibt, sonst fällt alles wieder zusammen. Wenn man den Eindruck hat, dass der Teig aufgehört hat zu gehen und von selbst wieder leicht einsinkt, schnell in den auf 250 Grad vorgeheizten Backofen schieben. Tür zu. Etwa eine Stunde bei „fallender Temperatur“ backen, also gelegentlich immer mal 20 Grad runterschalten. Oder gleich nach Einschieben auf 200 zurückgehen und so durchlaufen lassen. Wenn das Brot oben braun wird nach kurzem Abkühlen aus der Form nehmen. Sollten die Seiten noch nicht überzeugen und das Brotlaib noch etwas „weich“ wirken, das Brot gerne noch einmal für eine Weile zum Nachgaren in den bereits ausgestellten Backofen geben. Fertig.
Zum Abendessen gab es nebenbei erwähnt Kalbsbacken mit gebratenen Zucchini.
Rezept entfällt, wir haben nur warm gemacht. Es gibt mittlerweile gerade auch für gehobenere Ansprüche quarantäne-fähige Fertigware, sehr schmackhaft, ohne jegliche Konservierungsstoffe und Geschmacksverstärker aus dem Supermarktregal. Da muss man sich nicht genieren.
Mahlzeit und bis zum nächsten Mal!
PS: Unterwegs haben wir noch frisches Gemüse gekauft und bei einer Zwischenübernachtung in Passau im Bad gewaschen.
Und dort liegen die Zwiebeln immer noch.