Mucsi, 26./27. März 2021 (Freitag/Samstag)
Nach zwei ganzen Tagen vor Ort ist das Haus vom Winterstaub befreit, das Leben findet am Freitag und Samstag tagsüber vorwiegend im schönsten Vorfrühling draußen statt. Etwas voreilig stehen ein paar Mirabellenbäume in voller Blüte. Um die Äste herum summen und schwirren Insekten. Irgendwo versteckt steht eine Parfümfachverkäuferin und versprüht einen altmodischen Damenduft.
Die Blüten dieser nicht sehr schmackhaften halbwilden Sorte haben Nachtfröste bisher immer gut überstanden. Sorgen muss man sich aber um Aprikosen und Weinbergspfirsiche machen. Wenn es noch einmal richtig kalt wird, gibt es später keine Früchte.
Am Boden im kaum fingerhohen Gras winzige Blüten von Vergissmeinnicht, von Veilchen, von aus Beeten ausgebüxten oder echt wilden Traubenhyazinthen und erstaunlich vielen anderen Frühblühern oder Vordränglern, denen man als Stadtbewohner sonst niemals begegnet. Silberdisteln reservieren sich jetzt noch ein Plätzchen, bevor das Gras später schnell allen Boden zuwuchert. Aber auch die ausgepflanzten Stauden und Blumen schieben mächtig. Bei der Bestimmung der vielen verschiedenen Pflanzen hilft jetzt nur noch ein sehr leistungsfähiges Langzeitgedächtnis und die Erinnerung an Pflanzenbestimmungsübungen im Bio-Unterricht in der Quinta oder Sexta bei der Bestimmung weiter. Aber nach knapp 60 Jahren ist da nur noch ein Salat aus Worteilen: Gemeiner Gundermann, Milchstern, Lungenkraut. Bevor sich jetzt jemand blamiert lassen wir einfach in paar Bilder sprechen.
Das Tagesbuch handelt ja vom Essen, aber auch vom Trinken. Das Kantina-Personal hat bereits vorgestern begonnen, sich um die Getränke zu kümmern, die ab Herbst 2022 auf der Speisekarte stehen werden und daher die Weinstöcke gerichtet, an denen im Herbst die Trauben für den diesjährigen Wein hängen sollen. Wie sich das alles verhält haben wir ja schon 2018/2919 detailliert berichtet (s. Weintagebuch 2018) und bleibt hier am Rande.
Was die Quarantäne angeht, haben wir uns mittlerweile darauf eingestellt, dass uns zwar keiner kontrolliert, aber erwartet wird, dass wir sie selbst einhalten. Wir werden brav sein.
Und auf eine Weise auch nicht. Gestern haben wir verbotenerweise am Nachmittag unseren Scheiterhaufen aus Holzschnitt vom Vorjahr abgefackelt.
Das macht hier jeder so, möglichst unauffällig. Die nächste Polizei ist weit weg und verpfiffen wird nicht so schnell. Und da wir nicht überwacht werden, kann uns auch niemand überraschen.
Am Abend gab es am Freitag kalten gebeizten Lachs mit Weißkrautsalat im Stille von „coleslaw“, also klein gehackt und mit Mayonnaise, womit das Rezept schon praktisch vollständig enttarnt ist, wenn nur noch etwas Salz und Pfeffer dazu käme. Der Lachs kam aus einer mit eingereisten Packung und muss nicht für kulinarische Belehrungen herangezogen werden. Dazu Pellkartoffeln. Hausmannkost.
Heute Abend wird es wohl ähnlich frugal. Eine Doppelpackung Handkäse ist mit Musik auf den Weg gebracht und darf ziehen. Dazu wird es Butterbrote geben. Eine aus Resten angesetzte Gemüsebrühe könnte bei Bedarf den warmen Teil des Abendessen bilden.
Mucsi, 28. März 2021 (Sonntag)
Am ersten Sonntag nach unserer Einreise am vergangenen Mittwoch knickt das Wetter ein wenig ein. Es ist wolkig, ein leichter Wind weht unangenehm unter die Klamotten und treibt in die warme Stube. Wir praktizieren „Lazy Sunday“. Leichtere Alibi-Verrichtungen wie einen Wasserschlauch ausrollen und anschließen, der zum Ausspülen von Gerätschaften im Kellerhaus in den kommenden Tagen gebraucht wird, sind nicht ausgeschlossen helfen den Tag strukturieren.
Die eigentlich für heute fest vorgenommene Austriebsspritzung des Weins wird vertagt, heute treibt er eh nicht mehr aus. Und morgen wahrscheinlich auch nicht.
Immerhin klärt uns ein übernächster Nachbar über den Quarantänezaun hinweg darüber auf, dass, nachdem im vorigen Jahr am Ort ein kleiner Laden geschlossen hat, in dem man Soda in Pfandflaschen kaufen konnte, jetzt immer am Montagfrüh jemand mit dem Auto vorbeifährt, der frisch gefüllte Flacons verteilt. Man hängt seine leeren Flaschen an den Zaun, daneben passend sein Geld und „zack“ hat man frisches Sodawasser. Das hat auch schon vor Corona kontaktlos so funktioniert.
Seltsamerweise nutzen wir die freie Zeit nicht, um groß aufzukochen, wird sind etwas träge. Das Grillen von Fleisch-Gemüse-Spießen auf Holzkohle im Freien wird auf morgen, übermorgen verschoben. Der heutige Sonntag wird zum „Restetag“ erklärt: Krautsalat, Handkäse, Gemüsesuppe. Wenn das nicht reicht, wird spontan zugefüttert. An Tag 5 sind unsere Vorräte an kaltem Essen noch schier endlos.
Mucsi, 28. März 2021 (Montag)
Heute war der erste Grilltag des Jahres. Zu Mittag trumpft die Sonne groß auf, noch am späten Nachmittag kann man locker gekleidet im Freien sitzen und die wärmenden Strahlen genießen. Sonnenbrandgefahr.
Nachdem sich gestern kaum etwas bewegte, sind heute wieder jede Menge Insekten und Vögel unterwegs. Eine Holzbiene brummt wie ein Hubschrauber und zieht ihre Kreise.
Neben den ersten Tagpfauenaugen und Zitronenfaltern machen besonders die schwarzen Mauer- oder Solitärbienen mit ihren roten Hinterteilen Freude. Wir hatten sie schon abgeschrieben, nachdem die ausgehängten Bambusrohre seit Jahren nicht mehr bewohnt aussahen. Aber wir haben sie wohl immer nur verpasst. Nach wenigen Wochen gleich Anfang des Frühjahrs verschließen sie nämlich die Röhren mit Lehm und mauern so ihre Brut ein, die erst nach gut 10 Monaten im Folgejahr wieder herauskriecht und für ein paar Wochen die Ernte der ersten Frühlingstage weitgehend für sich hat. Eine gute Weile, bevor Scharen von Wespen, andere Bienen und marodierende Hornissen ihnen Konkurrenz machen oder ihnen gar nachstellen. Falls wir uns später nicht mehr sehen: bis nächstes Jahr!
Der Vormittag geht drauf für Gartenarbeiten rund ums Haus, Unkraut jäten, vertrocknete Stauden zurückschneiden. Und für Weinkellerarbeit. Der 2020-er Wein muss aus den Fässern gezogen werden, die unten zurück bleibende, dort abgesetzte Schicht aus Traubenrückständen, Schmutz und Hefen wird ausgespült und der Wein zurückgesetzt.
Am Nachmittag glüht die erste Holzkohle weiß und bräunt unsere – wie nennen sie jetzt mal so – Zigeunerspieße: Stücke vom Schweinenacken, Bauchspeck, Zwiebeln, Paprika.
Natürlich ist der „Zigeuner“ nicht sehr „p.c.“ und peinlicher wäre nur noch der Versuch jetzt noch etwas daran zu gendern, aber Corona und der explizite Anti-Multikulturalismus in der offiziellen aktuellen ungarischen Politik verursachen sarkastische Reflexe beim Denken und Sprechen.
Apropos Corona: Das Dorf trägt Maske. Die meisten Älteren sind bereits wenigstens einmal geimpft, aber es liegen auch Leute im Krankenhaus. Wir haben die Ohren auf was unsere eigenen möglicherweise anstehenden Impftermine in Deutschland angeht. Vieles lassen wir liefern, statt einkaufen zu gehen, neben Weißwein vom Balaton auch Holz und Schrauben aus einem Baumarkt in Budapest. Das reduziert Kontakte und wird auch nach Ende der Quarantäne weitgehend beibehalten.