Rezepte und Geschichten aus der házi karantén
Tag 13
(Dienstag, 15. September 2020)
Am Morgen routinemäßig etwas körperliche Ertüchtigung mit Terraband, Hanteln und zwei schnellen, erst gestern in der Mittagshitze mit einem Maßband abgemessenen 266-Meter-Runden über das gesamte Grundstück.
Vorletzte Kontrolle durch die Quarantänestreife heute 9:35 Uhr.
Der Tagesplan sieht vor, dass ein paar Backsteine zu einer neu auf dem Gelände des Gästehauses im Boden installierten und noch nicht durch Absetzen der Erde wieder oberflächlich eingeebneten Hauskläranlage getragen werden. Wir nennen den länglichen Hügel im Moment „das Hünengrab“ oder „U-Boot“ und haben ihn provisorisch und etwas unregelmäßig mit einer wilden Minze, Lilien, Thymian, etwas Blaugras, Rosmarin und abgestochenen Wurzeln von anderen Pflanzen begrünt. Das ist am Rand jetzt schlecht zu mähen, die Backsteine sollen eine Art Umgrenzung bilden und das Mähproblem beheben. Sollen.
Das ist schnell erledigt, wir sprechen den Speiseplan für heute, aber vor allem schon für morgen durch. Heute nochmal etwas ohne Purzelbäume in der Küche, als Vorspeise Ziegenfeta mit Tomaten, dann Zitronenspaghetti. Morgen dann das Galadinner zur Feier des Quarantänenendes: Carpaccio von Roten Beten, Hühnerfleisch vom Grill mit Kartoffeltortilla und Pesto. Wir gehen auch die Vorräte (immer noch aus Bruck an der Leitha) durch und verschieben Schweinenacken und Kasseler auf kommende kalte Tage. Sonst ist fast alles weg.
Nachdem die Quarantänevisite für heute schon durch ist, schlurft eine Abordnung am oberen linken Rand des Grundstücks quer über eine kleine Brache und dann wieder links abwärts in den Garten, den „der liebe Nachbar auch“, ein guter Freund seit beinahe 20 Jahren, zur Plünderung der jetzt noch bestellten Beete freigegeben hat.
Es gibt noch eine Reihe Sellerieknollen, verschiedene Tomaten- und Paprikasorten und rote Bete. Wir nehmen heute nur ein paar Tomaten und ein einzelnes Exemplar Bet, Sorte „Gigant 4 länglich“ (vier mal so groß wie die übliche Schrumpfware aus den Supermärkten, viermal so knackig).
Unterwegs wandert noch ein Teil unserer eigenen, hängen gebliebenen Äpfel in den Eimer. Die sind erfrischend und knacken laut beim Reinbeißen.
Im Vorbeigehen trifft der Blick auf hängen gebliebenen Zwetschgen und den zugehörigen Baum, der durch die Last der Früchte in die Knie gegangenen und außer Form geratenen ist. Geknackte Äste, das Laub ist auch schon etwas trocken und sieht irgendwie krank aus. Ob der nächstes Jahr noch einmal austreibt? Obstbauersorgen.
Weil am späten Nachmittag das Essen ein-, zwei mal verschoben wird – „eigentlich habe ich noch keinen Hunger“ – gibt es wieder ein größeres Zeitfenster für künstlerische Hobbys. Nachdem der Satz „Aber dieses Mal male ich wirklich ein Bild, komme was wolle!“ sich Jahr für Jahr im Maisacker versendet hatte, steht da plötzlich auf der Wiese eine Leinwand auf einer Staffelei. Donnerwetter, da geht es jetzt aber jemand an. Sogar plein air. Und hast Du nicht gesehen ist das komplette Rechteck in einem nahezu impressionistischen Quarantäneweiß grundiert. Das muss jetzt erst mal trocken. Mehr kann man im Moment nicht machen.
Die Spur führt daher wieder in die Küche. Dicke Bohnen griechische Art werden als Vorrat angelegt, von denen kann man bei einem kleinen Hunger zwischendurch was weglöffeln, oder sie werden gelegentlich als Vorspeise, Beilage oder Beigericht abgerufen.
Wir schon öfter angedeutet, liegt auch bei diesem, den Zutaten nach sehr sehr schlichten und einfachen Gericht die Herausforderung in der Feinabschmeckung. Phantasie und Entschlossenheit sind gefordert, nicht nur beim Öffnen der Konserven und beim Abgießen der Bohnen. Die kommen der Einfachheit halber nämlich vorgergart und eingeblecht. Weiters wird auch die Tomatensauce nicht frisch gemacht, sondern Passata aus dem Tetrapack verwendet. Wenn man jetzt weiß, dass lediglich noch Salz, etwas Pfeffer, getrockneter Oregano und Olivenöl gebraucht werden, kann man sich ausrechnen, dass dabei auch leicht etwas Fades und Belangsloses herauskommen kann.
Aber man kann auch das (die?) Passata rund würzen, mit dem Oregano und etwas Olivenöl sämig-cremig einkochen, mit Salz und Pfeffer zur Hochform bringen, dann die Bohnen drin erwärmen und intuitiv erahnen, ob die Tomaten noch eine Häuchlein Zucker brauchen oder gerade nicht. Wenn man das Ganze dann noch in einer schönen Terrine manierlich herrichtet und oben mit einer sichtbaren Spur besten Olivenöls überzieht, hat man eine Delikatesse.
In dieser Zeit ist dann im ehemaligen Schweinestall auch endlich der Farbholzschnitt „Alte Brücke Frankfurt“ fertig geworden. Die ersten eiligen Probedrucke hinterlassen auf dem Wohnzimmertisch Farbspritzer, worüber nicht alle Mitbewohner amüsiert sind. Der Künstler ist aber mit dem Gesamteindruck mehr als zufrieden, wenngleich es vor allem in drucktechnischer Hinsicht noch viel Luft nach oben gibt, und auch sonst nicht alles so geraten ist wie es geplant war. Aber vielleicht kommt es ja gerade darauf nicht an. Es ist ja auch sonst immer mal die Rede von Dingen, denen man besser „ihren Lauf“ lassen soll, statt sie kleinmütig ständig eng zu steuern und zu zwängeln. Warum soll nicht auch eine Grafik ein gewisses Eigenleben führen? Der Entwerfer schiebt sie an und staunt wohin sie läuft, solange die Richtung stimmt.
Für den kleinen Farbholzschnitt „Balaton“, der zwischendrin entstanden ist, gilt natürlich grundsätzlich das Gleiche, aber der hat sich wohl doch etwas zu sehr verlaufen. Die Richtung stimmt zwar, aber nur noch sehr grob, er eiert etwas unrund durch die schöne Seenlandschaft. Der wird wohl noch einmal neu angeschoben oder irgendwann dezent verschwiegen.
Und jetzt haben wir doch Hunger. Eine Platte mit angerichtetem Ziegenfeta kommt auf den Tisch.
Davon isst jeder so viel bis er denkt, dass die anschließenden Spaghetti in final satt machen könnten. Der Feta kommt nur mit ein paar Tomatenstücken und Olivenöl. Besonders machen ihn aber die darüber gestreuten Fenchelblüten. Diese schmecken intensiver und auch etwas anders als die bekannten Fenchelsamen. Sie sind schwer zu beschaffen, wir bekommen freundlichweise immer eine kleine Menge von einer Frankfurter Nachbarin, die die Blüten bei ihrem Haus in Italien von den Pflanzen streift. Wahrscheinlich kann man auch welche über das Internet bestellen. Es ist der Mühe wert, vor allem für Leute wie uns, die gerne essen und denken, dass sie schon alles kennen und haben.
Auch das Spaghettigericht besteht nur aus ganz wenigen Zutaten, die nur auf den ersten Blick ungewöhnlich und unerwartet zusammengestellt sind: viel Zitronensaft, viel Zitronenabrieb, viele Zesten, viel Olivenöl, viel geriebener Parmesan, reichlich Basilikum und ordentlich Pfeffer. Aus dem Zitronensaft, dem Abrieb, dem Öl, dem Käse und dem Pfeffer rührt man eine Art kalten Brei, der auf Wunsch und bei Bedarf mit ein paar Löffeln des bitte ordentlich salzigen Kochwassers auf die gewünschte Konsistenz gebracht und kurz vor dem Servieren zusammen mit dem Basilikum und den Zesten unter die heißen Nudeln gemengt wird. Ende.
Es gibt hierfür Rezepturen, aber man nimmt besser einfach von jeder Zutat soviel bis die Mischung schmeckt sowie auch die Nudelsorte, die man mag. Dick, dünn, flach, hohl. Egal. Es fehlen sowieso immer die anderthalb Zitronen oder 12,7 gr Parmesan, die das Rezept vorschreibt. Achten sollte man jedoch auf die Qualität und den Geschmack des Käses und des Öls. Dieses Gericht misslingt zielsicher mit einem trockenen, fertig sandig fein geriebenen und nur noch so genannten Parmesan aus der Pappröhre, Typ „Miracoli“, oder blassem, geraffeltem jungem Gouda, den man eingeschweißt und günstig im unteren Supermarktregal findet. Da würden wir empfehlen, besser gleich auf Sägemehl auszuweichen oder Zahnpasta. Nein, ein ordentlich großer, nicht gar zu alter und harter, aber herzhaft schmeckender und riechender Brocken Parmigiano muss her, oder Grana Padano. Und warum nicht Peccorino oder Manchego, wenn er nur fest genug ist, dass er sich mit der Hand auf der Reibe gut zerkleinern lässt? Dann klappts auch mit den Zitronen und dem Öl. Und mit den Nudeln.
Wer jetzt noch nicht satt ist, isst den Rest vom Ziegenfeta oder holt sich das am Quarantänetag 4 übrig gebliebene lemon & lime curd-Eis aus dem Gefrierschrank. Oder beides.