Kantina Karantena (1 und 2)

Rezepte und Geschichten aus der házi karantén

Tag 1 und 2
(3./4. September 2020)

Dachs? Kaum. Fuchs? Nach ersten Erkundigungen wohl eher auch nicht. Reh? Mmmm.

Nach der „Cantina Corona“ aus den lockdown-Tagen in diesem Frühjahr jetzt also im Herbst „Kantina Karantena“, die Schreibweise deshalb an das ungarische Wort karantén angelehnt, weil uns ja schließlich die ungarische Regierung zu einer 14-tägigen häuslichen Quarantäne (házi karantén) auf unserer dortigen Sommerfrische vergattert hat, deren Einhaltung jetzt bis zum 16. September einschließlich von der Polizeistation Tamási oder Högyész überwacht wird. Zwei Beamte sind bereits heute, am 4.9., gegen Mittag im Streifenwagen vorgefahren und haben sich ohne auszusteigen am Tor sehr freundlich erkundigt, ob alles in Ordnung sei. Und ja, das rote Schild, das wir verpflichtet sind rauszuhängen, um Nachbarn das Betreten des Grundstücks für die Dauer der Quarantäne zu untersagen und darauf hinzuweisen, dass wir unter amtlicher Beobachtung stehen und nicht rausdürfen, ja, das Schild hänge ganz gut und richtig so. Bis morgen denn. Und, nun ja, Kantina Karantena lässt sich auch gut „KuK“ abkürzen, das klingt doch schon appetitlich nach Buchteln und Schnitzel …………….

Ein paar Tage vor unserer Abreise aus Deutschland war bekannt geworden, dass ab 1.9. für wenigstens einen Monat eine Einreise nach Ungarn für normalsterbliche Ausländer gar nicht und auch für uns mit ungarischer Wohnsitzkarte (lakcímkártya) nur unter der Bedingung gestattet würde, dass wir uns für zwei Wochen in Quarantäne begeben. Die Alternative, uns zwei Mal testen zu lassen und bei negativem Ergebnis von der Quarantäne befreien zu lassen, haben wir angesichts des amtlich festgelegten, etwas erpresserischen Gesamthonorars von nahezu 400 Euro für uns beide für ein „zertifiziertes ungarisches Labor“ und der Tatsache, dass Testergebnisse kaum vor Ende der ersten Quarantänewoche vorliegen würden, verworfen und entschieden, noch vorher ausreichend Vorräte zu besorgen und den Rest des gesparten Geldes in Champagner und Kaviar zu investieren.

Weil unklar ist, ob wir auf dem Weg von der ungarischen Grenze in die später dort prompt angeordnete házi karantén im Land noch anhalten und einkaufen dürfen, nehmen wir sicherheitshalber schon aus Frankfurt Lebensmittel mit, die haltbar sind und nicht gekühlt werden brauchen, Dosenware, Knäckebrote, Passata von der Tomate, Nudeln und dergleichen. Der ernste Teil des Abenteuers KuK beginnt dann zehn Kilometer vor der ungarischen Grenze in einem großen Supermarkt im österreichischen Bruck an der Leitha, direkt an der Autobahnausfahrt. Jetzt bunkern wir noch vor allem Frischfleisch und Gemüse, in jedem Fall ausreichend Butter, dazu zwei gefrorene Spinatblöcke, um die Einkäufe ein paar Stunden kühl zu halten. Unterwegs später in Ungarn erstehen wir im Schutz der Grauzone einer eigentlich dem Transitverkehr vorbehaltenen Tankstelle mit vorgebundener Alltagsmaske noch etwas Weißwein. Wir sind gerüstet.

Doch es gibt neben diesen praktischen KuK-Vorbereitungen nach einem längeren Gespräch auf der Autofahrt auch noch andere Fragen, die sich stellen. Könnte man im Zweifelsfall eine Weile von den Dingen leben, die sich auf unserem Grundstück und im Garten des Nachbarn finden oder fangen lassen?

Schöllkraut? Wir googlen mobil, innerlich eingenommen offensichtlich giftig. Schafgarbe, Löwenzahn? Wahrscheinlich falsche Jahreszeit, aber möglich. Brennessel? Geht wahrscheinlich immer, mal sehen was noch rumsteht. Birkenrinde? Tja, erst mal die Schicht der Rinde finden, die man offenbar kauen oder auslutschen kann, um ein paar Mineralien aufzunehmen und etwas Süßes zu schmecken. Und hauen wir dafür den groß gewachsenen, liebgewonnenen Baum um, den wir vor 15 Jahren als Schattenspender selbst gepflanzt haben? Nein. Akazienblätter? Keine Ahnung. Gras von unserem Naturrasen, Schopftintlinge, Champignons? Im Moment stehen keine auf der Wiese vor dem Haus. Attich, gewöhnlicher Holunder, wilde Möhre, Schlehen?

Dann gehen wir die jagbaren Proteine durch und greifen bereits mit Rezeptideen vor: Schnecken in Knoblauchbutter, Kreuzkrötenschenkel französische Art, Äskulapnatter in Dillsauce, Fasan au Riesling,

Marder am Spieß, Igel a la nonna, frittierte Gottesanbeterin, Eidechse im Speckmantel, Schermaustatar, gemischtes Wanzengemüse,

Fuchsenschwanz in Barolo,

Dachsschinken (alias „Geselchtes von Schmalzmann“ oder „gedörrter Gestreifter“) ,

Rehrücken Müllerin, Amsel-, Drossel-, Fink- und Starsuppe. An dieser Stelle stockt das Gespräch. Zu viel Blut, zu viel lieb gewonnene Kreaturen, die uns für ein paar Wochen im Jahr gerne auf unserem Grundstück dulden. Niemals würde ich unserer Äskulapnatter etwas antun, vorausgesetzt man würde sie auf Zuruf überhaupt finden, sie zeigt sich extrem selten und noch seltener wenn wir gerade akkuten Hunger haben. Alle Fotos oben übrigens aus den vergangenen 2 Wochen direkt von unserem Grundstück ………

Aber auch ganz klar: zu viele Trichinen und Stinkdrüsen, zu wenig Erfahrungen mit Drahtschlingen und beim Bau von Fallen aller Art, geschweige den beim Führen von Bauhunden*). Ungeachtet der Frage, ob der Verzehr von Fuchs und Dachs überhaupt gestattet ist (das in-den-Verkehr-bringen-für-die-menschliche-Ernährung ist es in jedem Fall!) empfiehlt nämlich eine naseweise und grünberockte Quelle im Internet die sorgfältige Untersuchung des Fleisches beider Tiere auf Trichinen sowie das Wässern über Nacht, am besten in einem fließenden Bach an einem traditonellen „Dachshaken“. Außerdem wird natürlich zum Verzehr „nur junger Stücke“ geraten, aber hat man da bei 2-3 vagabundierenden Füchsen und wahrscheinlich nicht mehr als drei reviertreuen Dachsen wirklich die große Auswahl?  Gerade beim Dachs kommt dann noch hinzu, dass um das „Weidloch“ herum Duftdrüsen sitzen sollen, in die beim „Aufbrechen“ tunlichst nicht hineingeschnitten werden sollte, andernfalls noch nicht mal mehr der Hund …..  So spricht jedenfalls der deutsche Waidmann im weltweiten Netz über diese Angelegenheiten und benutzt dazu auch diese ihm eigene Sprache: „Welcher Bauhundeführer hat es noch nicht erlebt? Nach heftigem Gerangel im Fuchsbau schlieft der Erdhund wieder aus der Röhre und ist verletzt.“ Was für ein Drama.

*) Aber jetzt ist wenigstens klar, was ein „Bauhund“ ist, ja? Und auch, dass solch ein zünftiger Bauhundeführer den zunehmenden Dachsbestand (O-Ton: „Besatz-Explosion“) mit Sorge und Abschussgelüsten begleitet: „Schon im Juli knackt und kracht es im Busch. Dachse haben extrem zugenommen. Kirrungen und Weizenschläge, Maisäcker und Rapsfelder — hier geht der Gestreifte zu Schaden. Grimbart hat sich prächtig entwickelt. Die kurze Jagdzeit rührt aus den Tagen, als Schmalzmanns Anblick noch eine Seltenheit war. Jetzt macht der Besatz nicht nur den Bauhundeführern ernsthafte Sorgen“. Schmalzmann? Ach ja, Dachsfett.

Solches und bestimmt noch Ernsteres müsste man wohl bei all unserem jagbaren Wild bedenken, was dessen Verzehr am Ende möglicherweise doch zu kompliziert macht, Kantina Karantena hin und her. Wir stellen das also erst einmal zurück, es gibt wenigstens am ersten Abend noch schnell einmal etwas Vegetarisches:

Ziegenfrischkäse mit Gemüsesalat

pro Person eine Ziegenfrischkäsepyramide (gerne vom Discounter)

Salat:

          • 1 fast reifer, säuerlicher Apfel, direkt vom Baum
          • 3 große vollreife Fleischtomaten aus Nachbars Garten in mundgerechten Stücken, so groß dass der Saft gerade nicht mehr aus den Mundwinkeln läuft
          • 1 große geraffelte Möhre als Ballaststoff
          • ½ Kopf Radicchio, grob geschnitten
          • 1 Briefchen süßer Beilagensenf, den man mit der mitgelieferten Weißwurst sonst nicht gerne isst
          • 1 Messerspitze Zucker
          • 9 Umdrehungen Koriandersamen aus der Mühle
          • schwarzer Pfeffer
          • freizügig grasiges Olivenöl aus Istrien
          • 1 Schuss Rotweinessig, Hausmarke
          • nach Belieben Meersalz aus Piran

Den Ziegenkäse auf einen Teller setzen, die Salatzutaten gut vermengen und um den Käse anrichten. Guten Appetit!

Für die weiteren Tage haben wir einen konventionellen Speiseplan aus den mitgebrachten Vorräten entworfen, den wir jetzt erst einmal „abkochen“. Die Zubereitung werden wir in Rezeptform dokumentieren. Begleitende Informationen jeder Art und Ausritte in die wilde Natur sind aber doch nicht ganz auszuschließen.