Schoyfler: „Ackermann hat mir’n Haus geschenkt“

19. August 2011

Was für’n Hammer!

Hat doch der Schoyfler alias Andreas The August (alias Narciso Andrés alias Andreas von Gunten alias wer weiß nicht wer) einen Song geschrieben, der das Potential zum Partyhit beim gemütlichen Teil des Betriebsfestes der Deutschen Bank hat.

Aber noch hat ihn die Belegschaft nicht zu Ohr bekommen, kann ihn ergo nicht mitgrölen. Die Chancen stehen eher schlecht, dass es noch so kommt. Aber ich will alles dafür tun, dass google das  youtube-Video vielleicht einmal als Top-Suchergebnis für „Ackermann“ bringt und sorge auf diesem Wege für Verbreitung.

(Schlagwörter: Ackermann – Ackermann – Ackermann – Ackermann – Ackermann – Ackermann – Ackermann – Ackermann – Ackermann – Ackermann – Ackermann – Ackermann – Ackermann – Ackermann – Ackermann – Ackermann – Ackermann – Ackermann. Puh, das sollte reichen).

Hier folgt jetzt für die deutschen Bänker zum Üben erst mal der auf dem Amateurfilm eher schlecht zu verstehende Text und dann der versprochene Link zu einer Trio-Fassung und auch noch zu einer Band-Fassung des Stücks auf Youtube.

Strophe:
Wen treff ich neulich bei meinem Therapeut`?
Aus dem Fernsehn kenn ich den Mann.
Ich frag ihn gleich, „Hallo, ja wie gehts uns heut?“,
obwohl, das geht mich ja gar nichts an.
„Ziemlich schlecht“, er hat so ne blöde Depression,
er weiß nicht was er noch mit seinem Geld machen soll.
Ich gleich: „hoppla“, bezüglich seines Monatslohns,
da hätt ich ’ne Prima Idee, sag ich verständnisvoll.

An´n gutes Werk sollt‘ er doch mal denken,
er wirft nervös n’paar Erdnüsse ein.
Ich poker hoch, er könnt mir’n Häuschen schenken,
und ´n Scheck an Greenpeace sollt auch noch drin sein.
Hab ihn prompt an seinem sozialen Tag erwischt,
er hat ja in seiner Brust kein Herz aus Beton.
Hat er erst mal die Spendierhosen angezogen
lässt er sich nicht lumpen mit der Maggiboullion.

Refrain:
Ackermann hat mir’n Haus geschenkt
obwohl er mich eigentlich gar nicht kennt.
Nix Kleines, nein, ´s kost´’ne Million,
das bezahlt er mit einem Monatslohn.

Chor:*)
Was erzählt er wieder für einen Quatsch?
Wenn die Kuh scheisst, macht es platsch!
Er hat nicht mehr alle Tassen im Schrank.
Armer Raimund, wie bist Du krank.

Strophe
Er kriegt dreizehn Millionen im Jahr,
das durch zwölf ist, was in die Tüte kommt an jedem Monatsend‘.
Eine Milliondreiundachtzigtausenddreihundertdreiundreißig Euro
und noch dreiunddreißig Cent.

Refrain/Chor*):

*) Der „Chor“ erklingt nur auf der Trio-Fassung. Der Ich-Erzähler ist in diesem Fall ein gewisser Raimund. Raimund ist eine Hauptfigur aus einer Oper, die Herr Schoyfler derzeit komponiert, der „Ackermann“-Song also eine Nummer aus dieser Oper. So- ist damit zu rechnen, dass irgendwann auch eine dritte und orchestrierte Fassung des Stücks vorliegt.

So. Hast Du geguckt (Bild), hast Du gelesen (Text)? Dann guckstu deutscher Bänker weiter und singst mit:

Zum Artikel „Erlöst Gustav Mahler aus linker Vereinnahmung!“ (Zeit online 18.5.2011)

18. Mai 2011

„Der Komponist der ’68er“ – so ziemlich das letzte Attribut, das ich Mahler anhängen würde. Als junger Erwachsener und auf dem Weg zum Musiklehrer habe ich die Zeit erlebt und fand was „klassische Musik“ (Anführungszeichen voll absichtlich) angeht gerade meine linksintellektuellen Zeitgenossen eher bildungsfern und wenig artikulationsfähig. Normalerweise haben die lieber „Doors“ gehört („When the music’s over turn off the light“) und Orchestermusik, zumal mit Gesang verbunden, kaum an sich herangelassen. Wenn dann würde ich es eher so sehen, als dass sie nicht „Mahler“ sondern „Tod in Venedig“ gehört haben und das Phänomen Mahler und die 68er auf den Kontext des Visconti-Films und die Handlung der Mann-Novelle begrenzen. Die meisten dürften wohl beim berüchtigten Adagio unter dem Kopfhörer die Augen geschlossen und naiv-bildlich Gondeln vor sich vorbeiziehen gesehen haben, als dass sie eine Bestätitgung ihres (wie die Autorin vermutet) zerrissenen Weltbildes erfahren haben und sich existentiell erschüttern liessen. Man hat aber nicht bekennend und suchend das Gesamtoeuvre rauf und runter gehört und durchgesprochen. Sicher gab es da eine Faszination, aber die erschien mir schon damals ziemlich irrational und kaum erklärbar. Man hat sich vielleicht auch einfach in Konsumhaltug unreflektiert eine Stimmung, eine Attitüde „hineingegezogen“ wie heute noch Leute mit Che-Guevara-T-Shirts rumlaufen und weder im vollen Umfang für eine Politik a la Kuba noch gegen sie sind. So was heisst „Mode“. Kommt, geht und gut ist. Muss man aber keine Staatsaffäre draus machen.

Ansonsten denke ich, dass Rezeptionsgeschichte – selbst wenn es dann so gewesen wäre wie dieser Artikel es suggeriert – ein Problem sein kann, aber kein grundsätzliches Hindernis für den Zugang zu einem Werk für nachfolgende Generationen. Der Appell „Erlöst Gustav Mahler aus linker Vereinnahmung“ ist eigentlich nur peinlich. Er suggeriert, dass jemand Mahler irgendwann gekidnapt, damit anderen vorenthalten hat und besetzt hält. Nun muss er befreit werden. Wenn noch wenigstens gesagt würde von wem und für wen. Für die schwarz-gelbe (noch) Mehrheitsgesellschaft? Für die Generation Facebook? Für eine verstörte Generation Praktikum, die zugegeben anders als viele 68er keine etablierten Beschäftigungsverhältniss mehr finden werden? Wenn dabei der befreite Mahler hilft, gebe ich dem Artikel doch noch meine Absolution.

Das ganze Grundkonstrukt des Artikels ist ansonsten doch ziemlicher Humbug. Im Falle Kunst und Musik allgemein und in diesem Falle im Besonderen (s.o.). Niemand hindert niemand an einen einem neuen eigenen, selbst gewählten Zugang zu Mahler. Das heldenhafte Verlangen nach dem Wegräumen gar nicht vorhandener Hindernisse und Trümmer der 68er-Generation hat eventuell mit Mahler gar nicht so viel zu tun. Der dient nur als Tapete, auf der man das derzeit so angesagte 68er bashing aufwalzen kann. Für einen Hauptartikel zu „100 Jahre Mahler“ ist das arg dünn. Und man hätte über vieles nachdenken, gerne auch streiten können aus Anlass dieses Jubiläums. Vor allem über Mahler, aber nicht über das Thema „Komponist der ’68er“. Chance vertan, Thema verfehlt. Schade.

Hier der Link zum Artikel: http://www.zeit.de/kultur/musik/2011-05/100-jahre-gustav-mahler

„Virtual choir“ und „Analog-Käse“ – zwei gleiche Geschwister

14. April 2011

Wer braucht den Eiffelturm in Originalgröße, nachgebaut aus Streichhölzern? Wer braucht Frikadellen aus pflanzlichem Fleischimitat? Wer braucht Käse, dessen Zutaten aus keiner tierischen Milchdrüse geflossen sind? Der heisst nun zwar leider neudeutsch „Analog-Käse“ und sollte besser in „virtueller Käse“ umbenannt werden, aber auch so hinkt das Gleichnis mit dem „virtual choir“ nicht sonderlich. Denn wer braucht „virtuelle Chöre“? Wohl nur die, die auch gerne Analog-Käse essen, Eiffeltürme aus Streichhölzern lieben und Sojabulletten.

Aber schauen wir mal rein in so einen virtuellen Gesangsverein, z.B. in  Eric Whitacre’s Virtual Choir – ‚Lux Aurumque‘ auf Youtube. Erstmal gibt es hoch-ästhetische Klänge und Bilder. Aber schon beim anderthalbten Blick auf den Streifen winkt der gleich doppelte Beschiss: selbst die virtuelle Simulation eines singenden Chors ist virtuell simuliert. Also nicht nur Analaog-Käse, sondern simulierter Analog-Käse oder sagen wir die Nachbildung von echten Streichhölzern für den Eiffelturm aus zum Beispiel gebrauchten Zahnstochern, die täuschend echt Streichhölzern gleichen und alles zusammen ist der Eiffeltum (oder sieht so aus).

Wenn ja beim „virtual choir“ wenigstens in einem Raum tatsächlich alle Bildschirme und Lautsprecher gestanden hätten und die Sänger in Echtzeit miteinander gesungen hätten. Selbst das ist noch digital zusammengebastelt, nachbearbeitet und arrangiert. Kann man denn sicher sein, dass wenigstens die Einspielungen der einzelnen Sängerinnen und Sänger tatsächlich stattgefunden haben? Was ist denn da das Konzept, die Sichtweise, die Perspektive? Bestenfalls ist das blanker Surrealismus, nur dass es in unserer virtuos virtuellen Mediengesellschaft gar nicht mehr als solcher wahrgenommen wird. Als Kunstform ist der Surrealismus schon seit Ende der 1960er out und wartet nun nicht gerade wirklich auf seine Wiedererweckung durch authistische PC-Freaks.

Für mich erfüllt so ein virtueller Chor einfach nur den Tatbestand der Vortäuschung der Simulation einer künstlerischen und sozialen Interaktion bei gleichzeitiger antiseptisch vollzogener Vermeidung ihres tatsächlichen Stattfindens. Denn das würde ja unter Umständen Umstände bereiten: man könnte ja von seinem Schreibtischstuhl aufstehen müssen oder der Singnachbar könnte vergessen haben, ein Deo aufzurollen. Dazu passt nun auch der Klang: kalte Perfektion, steril. Selbst der starke Hall, der die Musik auf eine diffuse pseudo-andächtige ersatzreligiöse Gefühlsebene beamt, ist hörbar synthetisch und unwirklich. Kathedralen klingen wärmer und natürlicher.

Ich liebe es lieber warm und natürlich: Menschen zum Anfassen, zum in die Augen schauen, mit denen ich echt singe. Fazit: Schade um die Stunden, Tage, Wochen, Monate, die jemand bei herabgelassenen Rollo die Maus über den Schreibtisch geschubst hat. Und um die Kreativität und die technischen Fertigkeiten, die ja nun unzweifelbar doch auch in so einem „virtual choir“ stecken. Aber nun doch eben in einer Kopie von der simulierten Kopie einer Sache, die nun einmal doch dem Wesen nach eine andere ist.

„Virtual choir“: Der letzte – wenn auch hinreißend schön vorgetragene –  Aufschrei final vor dem Flatscreen vereinsamender Menschen?

Fleisch: Ums Dioxin gebettelt

Lecker Hausschlachtung21. Januar 2011

Im Zusammenhang mit dem neuesten (dem wievielsten?) Dioxin-Eier-Schweinefleisch-Puten-Skandal plädiere ich für den Fleischführerschein für Endverbraucher, i.e. Nachweis der Teilnahme an einer Hausschlachtung (Bild links). Damit würde man mehrere Fliegen mit einer Klappe erwischen: rückläufiger Fleischkonsum und vielleicht noch besser: die Leute lernen beurteilen was schmeckt und was nicht, egal was auf der Verpackung drauf steht und was es kostet.

Denn alle Lebensmittelskandale kennen nur einen Schuldigen, der auch alles selbst komplett abstellen könnte: den (un)mündigen Verbraucher. Wenn er will, kann er wissen unter welchen Bedingungen Tiere gefüttert, geschlachtet und vermarktet werden – wahrscheinlich weiß er es sogar – und das Zeug, über das jetzt alle herziehen, nicht kaufen und (fr)essen. So einfach ist das. Und so verlogen ist die Diskussion. Die „Skandale“ sind doch eher statistisch unvermeidbare Betriebsunfälle in einem Gesamtszenario, an dessen grundsätzlicher Änderung niemand wirklich gelegen ist, am wenigsten den Verbrauchern. Sonst würden die doch bei x-tausend Verkehrstoten auch schon lange kein Auto mehr fahren. Nur dumm, wenn’s einen selbst erwischt, da regt man sich halt mal auf.

Ich bin kein Öko-Freak, Tierschützer oder Romantiker und nur weil irgendwo „Bio“ oder „gewaltfreie Schlachtung nach Weidehaltung“ draufsteht, schmeckt kein Lebensmittel. Im Gegenteil: es gibt wunderbar wohl schmeckende und frische Lebensmittel auch beim Discounter und auch aus Tierquälhaltung. Wenn’s schmeckt kommt auch das bei mir in den Topf. Aber eben nur dann. Aber ich wähle frei und bewusst aus qualitativ und preislich unterschiedlichen Angeboten.

Dem durschschnittlichen Konsumenten fehlt aber doch schon beinahe jegliche Sachkompetenz oder „unabhängige“ Geschmackserfahrung. Seine Rezeptoren sind verpappt von zugelassenen Zusatzmitteln und Ersatzstoffen, seine Augen verschlossen mit dem Flugblatt mit den Sonderangeboten der letzten Woche und kreischend roten Aufklebern „Heute noch billiger“. Und ich wiederhole mich in dieser Kolumne: er wird nicht beschissen, er will es einfach nicht wissen. Und er bekommt bei Fleisch exakt und zu 100% was er auch sonst will: nach statistisch Maßstäben extrem sichere, nährwertmäßig hochwertige und exorbitant preisgünstige Lebensmittel.  Der Rest ist allgemeines Lebensrisiko.

Ein „Skandal“ liegt für mich allenfalls darin, dass Leute fähig sind, ihre Kenntnis über die seelenlose industrielle und alle ethischen Maßstäbe ausblendenden Tierproduktion – über die jeder jederzeit alles wissen kann – zu verdrängen und auf bessere Lebensmittel zu verzichten, um eines erbärmlichen Geldvorteils willen. Dieser Gedanke ekelt mich eigentlich mehr als Gammelfleisch.

NEU: Die gute „Dolce China“-Wurst

10. Januar 2011

Bunte Blüten treibt das Schnellgaststättengewerbe bzw. wirft Faltblätter auch in Briefkästen, auf denen “Bitte keine Werbung” steht. So heute eins mit folgenden fett und bunt gedruckten Überschriften:

Dolce Vita. CHINA EXPRESS. NEU bei uns: Currywurst.

Kein Wunder, dass manche Mitbürger “Multikulti” für gescheitert halten. Wer ständig möglichst viel (multi) vom Schlechtesten was andere “kulti” zu bieten haben in einen Topf wirft, bekommt noch lange kein bekömmliches Abendessen. Dabei ist doch eigentlich klar, dass in einem richtig guten Cross over-Gulasch das Beste von allem drin ist und nicht die Abfälle.

Aber was wollen die Leute stattdessen (um sich gierig satt zu essen)??? Analogkäsekuchen (“Pizza”) mit Formvorderschinken unbestimmter Anbaugebiete (“prosciutto”), gaumenzerschneidende Maismehltrockenscheiben (“taco shells”), gepresste Hühnerfleischabschnitte (“Saté-Spieß”), Hauptsache billig-billig-billig und das Zeug kommt verzehrwarm eingeschweißt direkt an die Wohnungstür, wo man es sofort aufreissen und mit dem mitgelieferten Plastikbesteck ohne Umweg über die Küche im Stehen reinschlingen kann.

Warum? Weil sie keine Ahnung haben und keine haben wollen, weil sie sich nicht dafür interessieren was wo drin ist, woher was kommt und was was bedeutet und wie das alles zusammenhängt. Und weil sie einfach zu faul zum Selbermachen und -denken sind. Leider.

Und leider nicht nur bei der Nahrungszufuhr, sondern auch im sonstigen richtigen Leben. Das Ergebnis? Zerrbilder von “internationaler Küche” und “cross over” und nach dem gleichen Muster auch von anderen Kulturen und eben “Multikulti”.

Das Etablissement “Dolce Vita – China Express” – bezeichnenderweise ohne ausgewiesenen festen Wohnsitz, nur mit Telefon für die schnelle Schlingnummer zwischendurch – als Spiegel der Gesellschaft: Wer hätte das heute morgen vor dem Leeren des Briefkastens gedacht?

Frohe Weihnachten! oder „Heiliger ungarischer Bimbam“

Am frühen Nachmittag des 24. Dezember 2012 muss ich noch schnell etwas los werden:

Rechtzeitig zu Weihnachten krönt die ungarische Regierung unter Führung ihres Sonnenkönigs Viktor Orbán („Orbán király“) ihre ohnehin bereits ätzende Innenpolitik vorläufig mit einem souverän alle OSZE und EU-Standards ignorierenden Medienzensurgesetz. Dreistigkeit und Demokratieverachtung kennen bekanntlich keine Grenzen, auf weitere Großtaten in Richtung Gleichschaltung der ungarischen öffentlichen Meinung und Unterdrückung oppositoneller Positionen kann gelassen gewartet werden. Die notorisch konfliktscheue EU-Kommission kriegt den Bürokratenarsch nicht hoch und wird einem Land mit solchen dubiosen Praktiken zum 1.1. den Vorsitz übergeben. Armes Europa, armes Ungarn.

Leider wird die Berichterstattung über die ungarische Innenpolitik schnell wieder zurückgehen. Ein Wunder und dem skandalösen Mediengesetz und der Ratspräsidentschaft 2011 geschuldet, dass jetzt überhaupt soviel berichtet wurde. Wer sich interessiert, findet auf dem in Deutschland gehosteten Blog „pusztaranger“*) immer wieder aktuell einen Haufen Material, vor allem aber Auswertungen von originalen ungarischen Quellen (Medien, websites etc.). Die internationale Presse berichtet in der Regel ja nur auf Grundlage von Sekundärinformationen, oft ensprechend oberflächlich. Eine weitere deutschsprachige Quelle ist die Online-Plattform „Pester Lloyd“*), die hoffentlich nicht vom Mediengesetzt betroffen, weil nicht in Ungarn gehostet wird. Der aktuelle Kommentar des Chefredakteurs ist überaus interessant.

So, denn mal auf zum Christbaumschmücken!

*) Stand Oktober 2024 sind beide Plattformen nicht mehr aktiv.

Nahblindheit,Tunnelblick

20. Dezember 2020

„Frohe Weihnachten wünsche ich Euch!!! Der Anhang ist eine kleine Pause wert! Herzlich“ grüßt eine liebe Kollegin per E-Mail und empfiehlt das Youtube-Video Christmas Food Court Flash Mob, Hallelujah Chorus – Must See!

Ein schöner Streifen, ein geniales Musikstück, unkaputtbar. Die kleine Aufmerksamkeit ist verbunden mit dem Wunsch, dass wir alle mal innezuhalten und uns verzaubern lassen. Soweit alles Bestens. Mein kleiner Beigeschmack: während jetzt alle auf u-tjuub starren, probt ein ähnlich ambitionierter Kirchenchor irgendwo in Frankfurt Händels Messias samt Halleluja und keiner merkt es. Das Internet, die Medien ziehen uns alle raus und weg aus unserer unmittelbaren Umgebung, unserem eigenen Alltag. Wir werden blind für das was um uns herum geschieht, schauen durch Tunnel in weit entfernte Galaxien. Die meisten „Aaaahs“ und „oooohs“ können wir uns aber auch direkt im Konzert um die nächste Ecke abholen oder in der Oper, im Kino, im Theater. Aber wer weiß das denn schon (noch) wirklich, wer fragt danach? Zumal man auch durch den Schneematsch latschen und sich vorher Karten besorgen müsste. Und das  „Halleluja“ kommt in echt halt nicht nur als 4-minütiges Dessert, sondern als  Teil eines dreieinhalbstündigen Oratoriums oder wenigstens eines 2-stündigen Konzerts mit noch anderen Programmpunkten.

Denn auch das muss man feststellen: auf dem Video ist jetzt nicht gerade eine übermäßig berauschende Giga-Interpratation des Händel’schen Hallelujas. Dieses Niveau hat hierzulande jeder zweite mittelstädtische Kirchenchor. Nur traut der sich normalerweise nicht zwischen die Schnellimbisse im Nordwestzentrum. Leider.

Kurtág (*1926): Kafka-Fragmente op. 24 (1985)

5. Dezember 2010

Heute am späten Vormittag Konzertmatinée im Museum Wiesbaden vor immerhin 30 Besuchern (Verwandte, Bekannte, Schüler): die virtuos aufsingenden und spielenden Carola Schlüter (Sopran) und Yumiko Noda (Violine) stellen Ihre minutiös bis ins letzte Detail durchgearbeitete Interpretation der Kurtág’schen Kafka-Fragemente von 1985 vor.

Ob sich die zwei kongenial auftrumpfenden Musikerinnen bei gleichem Aufwand und Gestaltungswillen und gemeinsamer Vorbereitung nicht eine mindest ebenso ausdrucksstarke Darbietung der Kafka-Texte selbst hätten erarbeiten, vielleicht auch improvisieren können? Über Strecken kommt das Stück so freitonal daher, dass man sich fragen kann, worin der eigentliche und unverwechselbare Beitrag des Komponisten zu diesem Vortrag bestanden hat oder warum die Musikerinnen lieber der letzten Verästelung von Kurtágs im Notentext penibel fixierter Phantasie als ihrer eigenen Erfindungsfreude folgen wollten.

Zumindest ist es nach Hape Kerkeling „HUUURZ! Auf der grünen Wiese…“ extrem schwierig, ausreichend sittlichen Ernst für die Rezeption der Kafka-Fragmente zu mobilisieren. Komponist und Interpreten sollten den Kerkeling sehr genau studieren und sich ein paar gute Fertigbausätze zurechtlegen, warum genau ihr Stück keine Parodie, sondern Kunst ist und der Hape eben nicht. Ein Ritt auf der Rasierklinge, will man meinen.

Es war dennoch ein beeindruckendes Konzert. Dabei als eine kleine Kafka-Entdeckung folgendes „Fragment“:

„Leoparden brechen in den Tempel ein und saufen die Opferkrüge leer: das wiederholt sich immer wieder: schließlich kann man es vorausberechnen, und es wird ein Teil der Zeremonie.“

Danach in die Blaue-Reiter-(mit Ausflügen ins Sublime-)Ausstellung. Bei einigen Exponaten ähnliche Fragen wie an Kurtág.

Ungarn im Oktober 2006

Budapest, 23. 0ktober 2006

Ich will nicht wirklich auch nur annähernd versuchen zu erklären, was da gerade im Land der Gulaschkessel abgeht, der Weg über 1848, 1918, 1945, 1956, 1989 bis zum 50en Jahrestag des Aufstands von 1956 am 23. Oktober 2006 ist mir selbst nur in Ausschnitten einsichtig.

Zufällig (wirklich!) irrten wir am 23. und 24.10. durch die dortige Hauptstadt und sind am späten Nachmittag und Abend des vergangenen Montag wohl nur eher zufällig nicht zwischen die Fronten der Straßenschlacht geraten, aber auch wasserwerferbeworfen hätten wir die aktuelle Zuspitzung nicht wirklich besser verstanden.

Wenigstens ein Ergebnis brachte die nachträglich Recherche: von der internen Rede des Ministerpräsidenten Gyurcsány vor seiner Partei, die nach der indiskreten Veröffentlichung eines anonymen Mittschnitts die Opposition ihre Wähler auf die Straße treiben liess und die die momentane Krise auslöste, gibt es im www zugänglich eine (mässig gut übersetzte und gekürzte) deutsche Fassung sowie von dort über Links zu erreichen ein gesamtes Dossier zur Krise.
www.pesterlloyd.net/Archiv/2006_38/0638rede/0638rede.html

Achtung: nur als Materialsammlung betrachten, der „Pester Lloyd“ hat mich vor einger Zeit wg. seiner schwammigen Linie genervt.

Die Rede wurde skandalisiert und politisch ausgeschlachtet und ich müsste unehrlich oder naiv sein, wenn ich als politischer Gegner nicht auch dieses gefundene Fressen verschlungen haben würde. Aber was würde ich mich freuen, wenn ich wüsste, dass einer unserer Politiker in vergleichbarer Weise einmal das Visier herunter lässt und sich nackend vor wenigstens den parteieigenen Spiegel stellt – auch wenn es geheim bliebe und ich es nie erfahren würde.

Eine zweite deutschsprachige Zeitung in Budapest ist die „Budapester Zeitung“, auch dort gibt es natürlich laufend Artikel und Kommentare zur aktuellen Krise:
www.budapester.hu

Bei dieser Gelegenheit gleich noch folgender Link in Sachen ungarische Geschichte, einfach mal klicken:
http://www.terrorhaza.hu/index3.html