Sammlerschoten(2): Carl Theodor Thiemann, „Abend vor Venedig“

Carl Theodor Thiemann
(Karlsbad 10. November 1881 – Deutenhofen 3. Dezember 1966)
Abend vor Venedig
Werkverzeichnis Merx 172 F
Werkverzeichnis Thiemann-Stödtner FH 175

Farbholzschnitt in 4 Farben
Plattengröße ca. 29,5 x 50 cm
Entstehungsjahr: 1910
Wahrscheinlich Druck der Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst, Wien
(Typographische Angaben beschnitten)

Heute soll endlich die Volksweisheit „Zufälle gibt’s, die gibt’s gar nicht“ rehabilitiert werden. Denn – wer hätte das gedacht? – es gibt Zufälle, die es gar nicht gibt: Auf einem Foto kreuzen plötzlich die drei berühmten, im Farbholzschnitt „Abend vor Venedig“ von Carl Theodor Thiemann dargestellten Boote von links kommend in das das Schaufenster einer Buchbinderei in Freiburg im Breisgau.

Die schnittigen Segler vor der Kulisse von Venedig am Rande einer Fotografie aus dem Jahr 2014 wären Jahre später beim Durchklicken einer Fotoserie, die aus völlig anderem Anlass entstanden ist, leider einem traurigen, fast übersehen worden. Gedanken und Aufmerksamkeit waren auf andere Dinge gerichtet. Ein guter Bekannter, ein früherer Arbeitskollege, war um Etliches zu früh zur Trauerfeier für einen sehr guten Bekannten, einen früheren Arbeitskollegen, gekommen und spazierte und fotografierte sich die überschüssige Zeit tot, beim  Warten auf Bekannte, meist frühere Arbeitskollegen, in den Straßen rund um den Friedhof.

Eine CD mit diesen Fotos, und natürlich auch welchen von der Trauerfeier, an der wir leider nicht teilnehmen konnten, war auf nicht mehr nachzuvollziehendem Weg in meine Hände geraten und ich war gerade dabei, nach bekannten oder auch nicht mehr zu erkennenden Gesichtern von früheren Arbeitskollegen zu suchen. Deswegen waren Ansichten von Schaufenstern und Häusern ziemlich uninteressant und verschwanden schnell vom Bildschirm.

Nur ein Foto blieb einen Wimpernschlag länger angezeigt und wurde nach einer gewissen Reaktionszeit erneut aufgerufen, um es jetzt sehr genau zu betrachten. Denn dort ist ein alter und sehr guter Bekannter einer ganz anderen Art zu sehen, etwas versteckt zwar neben einer Gruppe von aufdringlichen Japanern, aber doch sehr deutlich:

„Carl Theodor, was machst Du denn da ?“. Der breit und holzgerahmte Farbholzschnitt „Abend vor Venedig“ des bekannten Dachauer Künstlers Carl Theodor Thiemann aus dem Jahr 1910 verschwand auch dann nicht vom Foto wenn man ihn im Ausschnitt größer und größer stellte. Und schon hatte der Sammler in den Haken gebissen, wobei dieses Sprachbild etwas schräg ist, denn normalerweise würde jetzt der Angler die Schnur einholen. Der Kunstsammler macht es aber gelegentlich umgekehrt: er beißt in einen Köder und zieht dann den Angler resp. den Inhaber eines Objektes der Begierde zu sich ins Wasser, möglichst ins trübe, um den zu verhandelnden Kaufpreis vielleicht schon noch irgendwie fair zu gestalten, aber dann doch nicht unnötig in die Höhe zu treiben.

Jetzt muss man aber erst einmal herausbringen, was da eigentlich erstens vor drei Jahren wirklich im Schaufenster stand – ein moderner Nachdruck im Offset-Verfahren wäre natürlich vollkommen uninteressant – und ob zweitens der Buchbinder weiß was er da hatte und es eventuell noch hat, und dies vor allem für den Fall, dass es ein signierter Handdruck sein sollte.

Die Buchbinderei hat Gott sei Dank eine Internetseite mit Kontaktadresse, es folgt ein Schriftwechsel, der recht schnell und unkompliziert zum Ankauf des Blattes führte:

  • „Von einem Bekannten habe ich Fotos von Ihrem Schaufenster aus dem Jahr 2014 bekommen, die zufällig am Rande einer Beisetzung in Freiburg entstanden sind. Damals hatten Sie die Auslage mit japanischen Farbholzschnitten dekoriert. Man kann aber auch einen Druck von Carl Thiemann sehen. Gerne würde ich Sie fragen, ob Sie mit Farbholzschnitten dieser Art handeln und welche Arbeiten Sie gegebenenfalls sonst noch haben.“
    • „Wir haben eine Buchbinderei und Restaurierwerkstätte und handeln an sich nicht mit alten Drucken. Allerdings besitzen wir welche als Privatbesitz, die durchaus auch mal im Schaufenster ausgestellt gewesen sein können – allerdings ist mir diese spezielle Dekoration nicht gegenwärtig – wäre es möglich, dass Sie mir das Foto zukommen lassen, damit ich nachvollziehen kann, welchen Druck Sie meinen?“
  • „Gerne füge ich Ihnen heute das Foto aus dem Jahr 2014 bei. Links der Farbholzschnitt von Thiemann. Wenn das Blatt noch bei Ihnen ist, wäre die Frage ob es sich um einen signierten Handdruck handelt oder um einen Druck aus der Auflage der Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst Wien (das sollte dann unten angegeben sein) oder um eine moderne Reproduktion (offset o.ä.).“
    • „Ich werde nachforsche und mich wieder melden. Respekt, dass Sie das auf einem Foto einer Schaufensterauslage erkennen konnten.“
    • „Ich bin fündig geworden. Der Thiemann ist nicht weiter bezeichnet, ich sende Ihnen (mehr schlechte ) Fotos als Anhang.
  • Herzlichen Dank für die Mühe, die Sie sich machen. Ich gehe davon aus, dass es sich um keinen Handabzug des Künstlers handelt, der wäre unter der Darstellung signiert. Bei einem Auflagendruck aus Wien oder Dresden wären allerdings entsprechende typografische Angaben vorhanden. Auf Ihrem Bild ist davon aber auch nichts zu sehen. Können Sie erkennen, ob das Blatt evtl. beschnitten wurde? Soweit ist das alles aber auch nicht entscheidend, wichtig wäre nur, dass man sicher gehen kann, dass es sich um einen Hochdruck von den Thiemann’schen Holzplatten handelt und eben keinen Kunstdruck neuerer Art (z.B. Offset). Das sollte eigentlich schon mit einer guten Lupe zu sehen sein.“
    • „Druckgraphik ist leider gar nicht mein Metier. Ich denke, dass das Blatt beschnitten wurde, mit unsauberen Kanten. Einen „Nachdruck“ halte ich für unwahrscheinlich, da sich das Blatt seit den 30iger Jahren bei uns befindet. Da ich bis vor 5 Tagen noch nicht einmal wußte, dass ich das Blatt eventuell veräußern würde, habe ich auch keine Preisvorstellung.“

Etc. etc. Das muss soweit genügen, um diese Sammlerschote abschließen zu können. Das Weitere mag man sich denken und dass der Sammler aus taktisch-strategischen Gründen sich bei den Einkaufspreisen nicht gerne in die Karten schauen lässt, war ja bereits angedeutet worden. Es wurde – das sei aber  versichert – ein faires Geschäft für beide Seiten.

Es gibt Zufälle, die gibt es gar nicht.

WB – 10.11.2020

Links (Auswahl)

Literatur (Auswahl)

  • Klaus Merx: Carl Thiemann 1881-1966. Ein Beitrag zur dekorativen Kunst des Jugendstils. Eduard Roether Verlag Darmstadt 1976
    (im Anhang Katalog des Holzschnittwerks)
  • Stadt Dachau (Hrg.)/Ottilie Thiemann-Stoedtner: Kunstsammlungen der Stadt Dachau, Katalog Nr. 1, Carl Thiemann (1881-1966).
  • Ottilie Thiemann-Stoedtner: Carl Thiemann. Der Mensch – der Künstler. Verlag Bayerland, Dachau 1978.
  • Carl Thiemann: Erinnerungen eines Dachauer Malers. Beiträge zur Geschichte Dachaus als Künstlerort. Hans Zauner Verlag, Dachau o.J.
  • Ottilie Thiemann-Stoedtner: Carl Thiemann. Maler und Holzschneider. Eine Würdigung aus Anlaß seines 80. Geburtstages am 10.November 1961 (Privatdruck, Buchdruckerei und Verlag Hans Zauner Dachau

Sammlerschoten(1): Gyula Conrad, „Tengerpart“ (Meeresufer)

Gyula Conrad (Budapest 25.6.1877 – 26.6.1959)
Tengerpart (Meeresufer)

Farbholzschnitt in 5 Farben
Plattengröße 32 x 22 cm
Entstehungsjahr: 1910
Provenienz: Flohmarkt Budapest, September 1994

September 1994, Budapest, Ecseri-Flohmarkt:

Eine zurückhaltende, bürgerlich wirkende Dame, keinesfalls eine Trödlerin, bietet einen Farbholzschnitt an, der auf uns irgendwie „japanisch“ wirkt. Sie steht an einem der für Privatleute für gelegentliche Verkäufe verfügbaren Tische und hat wenig mehr dabei als ein paar kleinere Grafiken. Wir überlegen kurz, ob man für so etwas umgerechnet 30 DM ausgeben muss. Am Ende kaufen wir das Bild doch. Die Dame schreibt etwas in ein liniertes Schulheft, vielleicht verkauft sie für Nachbarn und Bekannte. Über den möglichen Namen des Künstlers sprechen wir nicht. Es war noch weit vor der Zeit, zu der ich begonnen habe, Verkäufer mit Fragen nach der „Provenienz“ eines Bildes zu löchern – ein Wort, das ich damals überhaupt noch nicht in meinem aktiven Wortschatz hatte – und alles aus Ihnen herauszupressen, was man sonst noch dazu wissen könnte und möglichst noch mehr.

Nach diesem Tag wird das Blatt aber schnell zu einem Paradestück der damals noch kleinen Farbholzschnitt-Sammlung und hängt lange in der originalen Rahmung in der Wohnung. Wir finden es beide absolut schön. Der Künstler bleibt für über ein Jahrzehnt unbekannt. Das Monogramm liest sich – wenn man es weiß – zwar sicher „CG“ oder „GC“, aber es lassen sich mit Phantasie auch andere Buchstaben erraten. Signatur und Bezeichnung sind stark verwischt. Eine Weile träumen wir davon, einen Holzschnitt von Lajos Gulácsy (1882-1932) zu besitzen, auch wenn Grafiken dieser Art von ihm schon damals nicht nachzuweisen waren. Denn Gulácsy ist ein sehr teurer ungarischer Maler. Der klassische Flohmarkttraum eben.

Aber wir haben keinen Chagall im Trödel gefunden. Wer genau und wann den Schnitt dem Budapester Künstler Gyula Conrad – der sich im Ausland auch schon einmal deutsch Julius Conrad oder französisch Jules Conrad nennt –  zugeordnet hat, ist nicht mehr nachzuvollziehen. Zunächst ist die Erkenntnis eher ernüchternd. Der Name Conrad sagt uns wenig, auch das um das Jahr 2000 herum zunehmend als Quelle zur Verfügung stehende Internet weist nur belanglose, uns wenig ansprechende Radierungen nach. Immerhin, für kleinste Beträge kaufe ich gelegentlich weitere Arbeiten von Conrad, Radierungen mit italienischen Motiven, auch eher Banales mit typisch ungarischen Szenen oder ein paar Ex libris, später auch antiquarisch Bücher, zu denen Conrad Illustrationen gemacht hat.

Und es vollzieht sich ausgehend von der Beschäftigung mit dem „Meeresufer“ ein allmählicher und ständig sich vertiefender Einstieg in die ungarische Druckgrafik der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert. Zum Glücksfall werden deutsche und ungarische Kataloge und Publikation zur ungarischen Grafik der Zeit, insbesondere zu Holz- und Linolschnitten im japonistischen Stil, die Anfang der 2010-er Jahre zugänglich werden und durch die Gyula Conrad in bislang unbekannte  Zusammenhänge gestellt wird. Er ist zwar immer noch kein führender Künstler seiner  Zeit, im Gegenteil wird er als Autodidakt bezeichnet und deutlich in die zweite Reihe gestellt, aber doch hat er sich aus einem Kreis von Künstlern um den Maler, Grafiker und Lehrer Viktor Olgyai heraus, in Ungarn anfangs des 20. Jahrhunderts wohl am intensivsten mit der Technik und den Möglichkeiten gerade des Farbholzschnittes befasst. Und er traut sich auf Reisen und zu Aufenthalten in Paris, München, London und Italien.

Seine Arbeiten sind zahlreich und weitgehend vollständig in der grafischen Sammlung der Ungarischen Nationalgalerie vertreten, ohne dass sie über Fachpublikationen hinaus bislang Beachtung fänden. Die Blätter sind stilistisch äußerst unterschiedlich, auch die künstlerische Qualität streut stark. Es gibt eine Reihe ganz starker Arbeiten aus allen Bereichen, Radierung, Holzschnitt und auch Lithografie, aber auch viel Unscheinbares, Belangloses, Triviales. Und ein guter Maler scheint Conrad eher nicht gewesen zu sein.

Doch keiner seiner sonstigen Farbholzschnitte kommt auch nur annähernd an das „Meeresufer“ heran. Das Blatt hat eine Sonderstellung in Conrads Oeuvre und am Ende auch in der Sammlung Barina, stellt es doch aus heutiger Sicht einen der Ausgangspunkte der Sammlung insgesamt dar. Mit zunehmendem Wissen um seine Bedeutung wurde es im  Laufe der Zeit gelegentlich „umgebettet“. Zuerst wurde der alte Rahmen vom Flohmarkt zwar beibehalten, in dem der Druck mit der Scheibe direkt Kontakt hatte, und nur die alte Rückenpappe durch säurefreies Material ersetzt. Zwischenzeitlich musste aber auch der alte Rahmen weichen und wurde ein Passepartout beigegeben, das für Abstand zwischen Druck und dem Museumsglas mit UV-Schutz vor Verblassen sorgt.

Denn über den ganz persönlichen und sammlerischen Wert des Blattes sowie die mögliche Stellung innerhalb der ungarischen grafischen Kunst hinaus, hat sich bei den Recherchen noch etwas völlig Überraschendes ergeben: Es könnte sich um den einzig erhaltenen Abzug überhaupt handeln. Bislang beruhen alle Kenntnisse der ungarischen Kunstwissenschaftler, die sich mit Conrad befassen, zu diesem Druck auf der Beschreibung und schwarz-weiß-Abbildung in einer Ausgabe der Budapester Zeitschrit „Vásárnapi Ujság“ (Sonntagsneuigkeiten) von 1910. Ein weiteres erhaltenes Original in Farbe ist bislang nicht bekannt.

Im September 1994 beginnt also doch ein Sammlertraum.

WB – 15.4.2019

Ergänzung April 2022:

Das Blatt hat Aufnahme gefunden in den Katalog und die Ausstellung „Wasser im Jugendstil“  des Landesmuseums Wiesbaden, 13. Mai – 23. Oktober 2022″,
s. https://museum-wiesbaden.de/wasser-im-jugendstil 

Links

Weitere Farbholzschnitte von Gyula Conrad in der Sammlung Barina

Alle Arbeiten von Gyula Conrad in der Sammlung Barina
http://www.wolfgang-barina.de/kunst/sammlung/kuenstler_af.html#Conrad

Ungarischer wikipedia-Beitrag zu Gyula Conrad
https://hu.wikipedia.org/wiki/Conrad_Gyula

Literatur

  • Städtisches Kunstmuseum Spendhaus Reutlingen und Ungarische Nationalgalerie Budapest (Hrg.): In ruhigem Wasser. Holz- und Linolschnitte des ungarischen Jugenstils aus der Sammlung des Ungarischen Nationalgalerie und der Akademie der Bildenden Künste Budapest. ISBN 3-933820-84-7
  • Miskolci Galéria (Hrg.): A modern magyar fa- és linometszés 1890-1950 (Der moderne ungarische Holz- und Linolschnitt 1890-1950*). A Miskolci Galéria Könyvei 22, 2005. ISBN 963-85393-1-3 (English summary S. 311-313)
  • Földi, Eszter: A képzőművészet mostohagyermeke. A magyar művészgrafika kezdetei 1890-1914 (Das Stiefkind der Bildenden Kunst. Die Anfänge der ungarischen Kunstgrafik 1890-1914*). L’Harmattan Kiadó, Budapest 2013.
    ISBN 978-615-5436-03-1
  • Vasárnapi Ujság: A grafikai művészet technikái és hivatása (Die Techniken und der Beruf der grafischen Kunst*). Heft 19, 8. Mai 1910, S. 389-393

* Liegt nur in ungarischer Sprache vor, freie Übersetzung der Titel zur Orientierung.

Mao Z. fehlt unentschuldigt beim Gruppenbild!

Angetreten als Bösewicht, Gutmensch oder anderweitig Weltverändernde/r sind (von links nach rechts und oben nach unten): das Dalai-Lama, Onkel Che, der Mann aus Lambarene, Nelson M., Jesus von N., die schon selige und ab September 2016 voraussichtlich heilige Großmutter Teresa, Osama bin-schon-mal-im Laden, der fast schon vergessene Idi A. aus U. sowie ein vormaliger Führer (vgl. Switch Reloaded, „Obersalzberg“-Clips). Dazu oben links einer mit einer großen 70er/80-er-Jahre-Brille und blonden Haaren, den ich einfach nicht gepeilt kriege. Dabei müsste er nach aller Logik mindestens auch ähnlichen Weltrang haben wie der Rest der Versammlung:

ex-libris-lars-a-haack

Radierung 4/50: „Ex libris Lars A. Haack“, ca. 10 x 15 cm,
unten rechts unleserlich signiert

Über allen schwebt das unbesternte Firmament, das nach unten hin in Haufen von Totenköpfen und Schädeln übergeht. Jesus, Teresa, Osama, Idi und der Führer werden durch eine Art Lupe hervorgehoben und unterscheiden sich durch was genau von denen außerhalb des Lupenrandes? Wenn man das jetzt wüsste und überhaupt auch was uns das Bild sagen will. Irgendwie geht es um „Gut“ und „Böse“ und wie beide mit einander zusammenhängen, denke ich mir. Es scheint auch von oben nach unten zunehmen böser zu werden, aber was um Himmels Willen macht die selige Schwester vom Wojtyla so weit unten. Und ihr himmlischer Bräutigam wäre hernach das Bindeglied zwischen all dem Guten und dem Bösen auf dieser Welt ?

Nun kann ich leider niemanden fragen, weil ich vergessen habe wo ich diese Radierung gekauft habe und vor allem: „Warum?“! Das Blatt fiel mir beim sortieren und dokumentieren meiner Sammlung aus einer Mappe entgegen. Fast bin ich erschrocken, dass ich es besitze. Es kann nur für 1 Euro durch die E-Bucht geschwommen sein oder als hintersinniges und gleichzeitig infames Geschenk eines nahen Vertrauten, in eines der Bücher gelegt, die man so zu runden Geburtstagen geschenkt bekommt.

Eigentlich kann es jetzt wieder weg, im Internet finden sich für so etwas ohne  Frage Interessenten. Vorher wird aber noch geklärt:

  • Wer ist der begabte Künstler, der dieses Blatt gestochen hat?
    Nachtrag 29. Oktober 2016: Dieses Rätsel konnte zwischenzeitlich gelöst werden. Es handelt sich um Jens Rusch.
  • Was will uns der Künstkler sagen?
  • Art or not to art or what?
  • Wer ist der Herr mit der Brille oben links?

Kunstsammeln ist eine einzige Schnitzeljagd.
Neue Aufgaben und Herausforderungen in unregelmäßigen Abständen unter „Rätsel und Geheimnisse„.

Wer hat 1925 das „Kleine Zigeunermädchen“ gemalt?

Das Geheimnis dieses kleinen Bildes versuche ich zu lösen seit ich es vor nunmehr 25 Jahren auf einem Flohmarkt gekauft habe. Das Motiv scheint auf den ersten Blick kitschig und erfüllt Klischees, denen ich mich selbst nicht ganz entziehen kann. Nicht umsonst lautet meine frei gewählte Bezeichnung „Kleine Zigeunerin“.
Aber das Bildchen ist auch erstaunlich fein und versiert gemalt und Gestik, Mimik und Atmosphäre sind gut getroffen. Das Kind schaut direkt ins Auge des Betrachters und lebt.

Genialer Ausreißer eines Hobbymalers, Fingerübung eines namhaften Künstlers? Was sehen wir überhaupt: tatsächlich ein „Zigeunermädchen“?

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„Kleine Zigeunerin“
Gouache/Wasserfarben, 1925 (?), ca. 12,5 x 13 cm

Kommen wir zur vermeintlichen Signatur: Wer will hier nicht „Miró“ lesen?

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Die Idee war natürlich von vorne herein verwegen, aber die Hoffnung auf eine Sensation motiviert schließlich so manchen spontanen Flohmarktkauf. Hier war ich 1991 sogar bereit, auf dem Parkplatzgelände von damals Massa in Hattersheim satte 50 DM auf eine absurde Spekulation zu setzen, die sich beim heimischen Studium von Vergleichssignaturen natürlich schnell als Illusion erwiesen hat. Aber damals hatte man noch kein Smartphone in der Gesäßtasche, um das schnell und gleich vor Ort durchzugooglen.
Was sehen wir also? Einen Schnörkel, der allenfalls vage an gewisse linienartige Strukturen aus Arbeiten von Miró erinnert. Seine Signatur ist das jedenfalls nicht, noch nicht einmal der Versuch diese zu imitieren. Ist es überhaupt eine Signatur oder sind es nur ein paar Kringel, die eine Signatur vortäuschen, eine Fährte legen sollen? Auch befinden sich Signatur und die Jahreszahl „1925“ nicht auf dem Bild selbst, sondern auf dem weißen Papier, möglicherweise einem ehemaligen Briefumschlag, auf den es -schlecht und schräg ausgeschnitten – geklebt ist. Das kann jeder jederzeit dort angebracht haben. Will mich jemand reinlegen oder lege ich mich nur selbst rein und alles ist ganz harm- und arglos?

Und auch das kann man sagen: unabhängig von all diesen bohrenden Fragen ist uns das Gesicht vertraut geworden, wir mögen das Bild so wie es ist.

Aber ich bleibe neugierig: Hat jemand diese Signatur schon einmal gesehen? Kennt jemand vergleichbare Arbeiten? Ich freue mich über jeden Hinweis und über Kommentare per E-Mail.

Fahndung: Caroline Susanne Krafft-Schramm (1865-1922)

krafft-schramm-hess-staatsarchiv-ohne.fussCAROLINE KRAFFT-SCHRAMM
alias „Ralph Sanin“

Wie einige von Euch ja wissen habe ich eine stetig wachsende Sammlung von Kunstwerken, überwiegend Graphik, die ich gerne mit „Zwischen Kunsthandwerk und Expressionismus“ kennzeichne. Das bezieht sich vor allem auf Farbholzschnitte aus der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts, die uns mal kitschig-naiv („Alpinkunst“), mal mit höherem künstlerischen Anspruch erscheinen. Und da ich mir den „Blauen Reiter“ und die „Brücke“ nicht wirklich leisten kann, tendiert meine Holzschnitt-Sammlung natürlich eher ins Populäre und Gefällige. Wobei man sich auch damit ausgiebig beschäftigen und amüsieren kann, darf ich versichern.

Zu den Künstlerinnen und Künstlern dieser Kategorie gehört unter vielen anderen die in Offenbach am Main tätig gewesene Caroline Susanne Krafft-Schramm, die wegen ihrer bürgerlichen Stellung  als schwerreiche Industriellengattin und Hausherrin des Anwesens „Löwenruhe“ (heutiges Gelände des Deutschen Wetterdienstes, es steht noch das Gärtnerhaus und die Gästevilla „Bagatelle“ an der Frankfurter Straße) als Künstlerin mit dem männlichen Pseudonym „Ralph Sanin“ gezeichnet hat.

Vom meist graphischen Werk von Krafft-Schramm/Sanin sind mir nur einige wenige Blätter bekannt. Der Rest ist entwederin Privatbesitz (Familie, Erben?), wahrscheinlich aber verstreut oder auch verloren gegangen. Ich selbst besitze 2 Farbholzschnitte, vgl. http://www.wolfgang-barina.de/…./#Sanin. In Offenbach gibt es im Arsenal des Hauses der Stadtgeschichte lediglich 1 kleines Ölgemälde, desweiteren 4 Bleistiftzeichnungen, die allerdings nur katalogisiert, aber in den Tiefen von hunderten Stahlschränken nicht tatsächlich auffindbar sind (ich beteilige Euch gerade einmal am meinen überaus kurzweiligen Expeditionen über den Main). Dann gibt es in der Sammlung der Letter-Stiftung in Köln 3 weitere Farbholzschnitte, von denen man mir freundlicherweise und schnell Abbildungen hat zukommen lassen.

Ganz prima verlief auch die Kooperation mit dem Deutschen Literaturarchiv in Marbach/Neckar. Da hat man mir die Korrespondenz von Krafft-Schramm/Sanin mit dem schwäbischen Dichter Cäser Flaischlen („Hab Sonne im Herzen…“) binnen Tagen umstandslos kopiert. Aus dieser überaus interessanten, aber doch eigenen Geschichte, resultiert immerhin ein Hinweis auf Werke von „Ralph Sanin“. Krafft-Schramm hat als Mitglied/Patronin des „Frauenvereins des Roten Kreuzes für die Kolonien“ (später“ …für Deutsche über See“), Ortgruppe Offenbach, fast jährlich aus privaten Mitteln ab 1913 einen Kalender herausgebracht, der zugunsten der vom Roten Kreuz in die Überseegebiete bzw. später in die Weltkriegslazarette entsandten Krankenschwestern verkauft wurde. Und für just diese Kalender bittet Krafft-Schramm Herrn Flaischlen um ein Originalgedicht. Das hat er dann unter dem Titel „Unseren Schwestern“ wohl auch geliefert und wurde auch in einem der Kalender, ganz offensichtlich und mit gutem Grund aber nicht von der „Flaischlen-Forschung“ veröffentlicht (ein richtiger Schmarrn, liegt in meinem Giftschrank). Aber die Kalender sind teilweise – und da wird es jetzt wieder interessant – auf den Titelblättern mit farbig wiedergegeben Farbholzschnitten und Aquarellen von Ralph Sanin illustriert (innen sind sie dann leider sehr spartanisch und ohne jeden weiteren Schmuck). Leider konnte ich diese Kalender nur im Stadtarchiv in einen dicken Band mit anderen Materialien eingebunden sehen und fotografieren und nicht feststellen, ob die Titel von Originalstöcken gedruckt worden sind oder ob es sich um Reproduktionen von größeren Originalen handelt.

Lange Rede, kurzer Sinn: Gerne möchte ich darum bitten, dass sich mal alle melden, die sich als Nachfahren der Industriellenfamilie Krafft in Offenbach sehen und bei denen Onkel, Tante oder Oma Kunstwerke von „Ralph Sanin“ an den Wändern hängen haben. Dann bitte auch die, die keine solchen Erbschaften gemacht haben und anderweitig an Arbeiten von Krafft-Schramm gekommen sind (Monogramm in den Farbholzschnitten „RS“) oder wissen wo solche zu finden sind. Ich hoffe  jedenfalls auf Kommisar Zufall….

kalender-1920-ausschnitt-kleinUnd vielleicht hat ja auch jemand einen pfiffigen Tipp wie und wo man an die erwähnten Kalender kommt. Es geht um eher unscheinbare Jahreskalender im Format etwa DinA5 aus den Jahren 1913 bis etwa 1927, die bei Gerstung in Offenbach gedruckt worden sind. Allerdings eben NICHT um die zeitgleich erschienenen Kalender des Hauses Klingspor. Es sollte ein Bezug zum Roten Kreuz erkennbar sein und idealerweise außen oder auf dem Innentitel ein Farbholzschnitt von Sanin zu sehen sein (weitere schlechte Abbildungen davon kann ich gerne schicken). Das Internet hat mich in dieser Sache komplett im Stich gelassen, ich setze jetzt auf Antiquariate in der Region mit großen unsortierten und muffigen Lagern, die noch nicht vollständig digitalisiert und recherchierbar sind. Das kann in Offenbach selbst sein, aber auch Hanau, Gelnhausen, Frankfurt, Wiesbaden, Mainz, London, Timbuktu. Klingelt da bei Euch was? Ich freue mich über jeden Hinweis.

Das mal in aller „Kürze“, bei entsprechender Ressonanz kann ich gerne gelegentlich weiterplaudern und den neuesten Stand der Krafft-Schramm-Forschung darlegen (zu schweigen über die Recherchen zu Lina Ammer (Regensburg), Lina Kempter (Illertissen) und Dutzenden anderen Künstlern) und die bdh-Leser mit über Flohmärkte und durch Auktionshäuser, nach Bodenheim (ehemaliges Weingut „Krafft“) und nach Bad Soden-Salmünster (Sommersitz der Familie Krafft) und ins „Land der Hutten“ (Zitat Sanin) nach Altengronau in den Spessart schleppen.

Forts. folgt (vielleicht)…..