Rezepte und Geschichten aus der házi karantén
Tag 7
(9. September 2020 )
PK um 9:35 Uhr, nur ein Beamter, man rüstet ab.
Am Tag 7 unserer Quarantäne, einem Mittwoch – gleichzeitig dem „Bergfest“, denn kommenden Mittwoch, 23:59 Uhr, ist alles vorbei – wollen wir zwar auch wieder vom Kochen und Essen erzählen, geben aber erst einmal preis, woher unsere kulinarischen Vorlieben kommen.
Diese sind nämlich nicht unwesentlich mit der fast global verankerten Kunst- und Weltanschauung des Melonimus verbunden (ursprünglich spanisch „melonismo“). Der Begriff ist bereits in den 1980er oder frühen 1990er Jahren auf die Welt gekommen, umfasst aber inzwischen längst nicht mehr nur die Malerei oder die darstellende Kunst. Nein, er ist beinahe zum Synonym für ein bestimmtes Lebensgefühl geworden, das nicht zuletzt auch unsere Kochgewohnheiten prägt.
Die Wortschöpfung „melonismo“ entstand zunächst aus dem Stehgreif auf dem Mercado de Sabado, einem samstäglichen Kunstmarkt überwiegend für Touristen im Süden von Mexiko-Stadt, im Stadtteil San Angel gelegen, und bezog sich rein auf einige dort zum Verkauf dargebotene Gemälde. Man ahnt in San Angel zwar die Nähe des Ateliers von Diego Rivera und des „blauen Hauses“ von Frida Kahlo in Coyoacan, auf dem Markt ist aber eigentlich bis heute auf sprichwörtlich jedem zweiten Bild eine angeschnittene Wassermelone zu sehen. Alle Bilder und Objekte einfach nur mit den Farben GRÜN – ROT– WEISS gemalt, getuscht, gezeichnet, collagiert, geknetet, geklöppelt, gestickt, gewoben, gegossen, gesprüht. GRÜN – ROT– WEISS. Nichts weiter. Nur Wassermelonen. Wassermelonen. Und da war es, das Wort „melonismo“, und hat fortan unter uns gewohnt.
Natürlich haben auch mexikanische Künstler von Weltrang immer wieder Wassermelonen gemalt, darunter bekanntermaßen die heute leider etwas überikonisierte Frida Kahlo, aber auch immer und immer wieder der unsterbliche Rufino Tamayo:
Da verhält es sich mit dem künstlerische Wert natürlich deutlich anders als bei den Andenkenbildern vom Künstlermarkt. Und irgendwann mussten auch wir feststellen, dass jenseits des wohlfeilen und harmlosen Kalauers vom Mercado de Sabaco offenbar noch ein tieferer Sinn hinter den uns erschienen Melonen steckte und ein Weg gewiesen wurde, der des Melonismus eben. Zeigen nicht die Flaggen der drei Länder, in die wir immer schon bevorzugt reisten die Farben GRÜN – ROT– WEISS (in welcher Reihenfolge auch immer)
und – bitte anschnallen! – werden nicht in allen dieser drei Länder geradezu Unmengen von Wassermelonen gewerbsmäßg angebaut und gewohnheitsmäßig verzehrt und in aller Regelmäßig- und Beharrlichkeit immer auch wieder kunstgewerblich verwertet ? Es formte sich ein beinahe vollkommen geschlossenen Lebensprinzip, das uns bis heute erhalten geblieben ist und untrennbar mit dem Begriff „Melonismus“ verbunden bleibt. Es besteht aus Reisen nach, aus Speisen und Zutaten sowie Kunst und Kultur vorwiegend aus MEXIKO, UNGARN und ITALIEN.
Jetzt schnell aus der Narrenbütt in die Küche. Dort sieht es bezüglich „melonismo“ so aus, dass es ein mexikanisch inspiriertes Frühstück geben wird und für den Abend eine ungarisch inspirierte „rote“ Suppe.
Das besagte Frühstück besteht aus Spiegeleiern, aufgewärmten Bohnenpüree, der mexikanischen Chilesauce, aufgeschnittenen Tomaten, den kalten Resten der gestern gegrillten Paprikaschoten sowie frischen Maistortillas (Bezugsquelle: Stand „Asia-Latino“ von Gisela Wong, Kleinmarkthalle Frankfurt), die Rauke auf dem Bild dient mehr der Optik, stammt aber sehr wohl von der eigenen Scholle.
Höhepunkt des Tages ist dann aber später die Fertigstellung einer bereits gestern heimlich angefangenen ungarischen „roten Suppe“, die wir hier gleich einmal als Aufhänger für eine Einführung in eine der Grundlagen der ungarischen Küche nehmen. Und zwar in das richtige andünsten von Zwiebeln in Schweinschmalz und die Beigabe von süßem Paprikapulver in der Art wie wir Deutschen eine Mehlschwitze bereiten würden. Dieser Grundschritt ist eine „conditio sine qua non“ bei der Zubereitung eines Großteils von traditionellen ungarischen Gerichten, hieran geht praktisch nichts vorbei.
Auf dem folgenden Bild sehen wir oben links zunächst die ungarische Dreifaltigkeit (Schweineschmalz, Zwiebeln und edelsüßes Parikapulver),
darunter rechts angeordnet einige Fußtruppen der „Dreifaltigkeit“, die in unterschiedlichen Kombitionen je nach Gerichts- und Gemengelage und Verfügbarkeit auch von weiteren jetzt nicht erwähnten Zutaten zum Zuge kommen: gemahlener Kümmel, Piment (Nelkenpfeffer), Lorbeer, schwarze Pfefferkörner, Knoblauch, frische und getrocknete scharfe Paprika. Den Fototermin haben versäumt: eine Tomate, ein Stück geräuchter Speck und das Salz. All dies sind bisher ausschließlich Aromazutaten, was später gekaut werden soll und satt macht, kommt zur rechten Zeit gesondert hinzu.
Für alles was irgendwie später entfernt wie Gulasch oder Gulaschsuppe aussehen wird gilt dieser unabänderliche ungarische 2-Satz:
(1) – Gewürfelte Zwiebeln in reichlich Schweineschmalz unter Umrühren glasig dünsten:
Dabei bitte nicht mit dem Schweineschmalz geizen. Wer hier jetzt spart, der lebt verkahrt. Zum einen schmeckt es einfach saumäßig (nomen est omen) und kann nicht wirklich durch anämische Pflanzenöle ersetzt werden, zum anderen werden die Zwiebeln wunderbar glasig und verbrennen nicht so leicht. Es scheint, dass Schweineschmalz nicht so hohe Temperaturen erreicht wie gereinigte Pflanzenöle und die Zwiebeln so etwas wie kochbraten. Meine Großmutter hat zwar lebenslang bewiesen, dass es möglich ist, Zwiebeln in Schweineschmalz braun bis schwarz zu rösten, die schwammen dann auf der Suppe immer als dunkelbittere Flecken oben, versehentlich passiert das aber eher nicht und auch nicht schnell, man muss es sehr wollen und mögen. Wie meine Oma.
(2) – Wir geben jetzt das Paprikapulver zum Schmalz und zu den Zwiebeln
und rühren alles solange bis sich so etwas wie eine Einbrenne bildet.
Hierbei aufpassen, dass das Paprikapulver nicht verbrennt, dann muss man den bitter gewordenen Ansatz entsorgen und neu machen. Das Aroma und vor allem die Farbe sollen vom Fett aufgenommen werden. Guter ungarischer Paprika schmeckt UND färbt. Und er färbt im Gegensatz zum in Deutschland gängigen „Ziegelmehl“ (familieninterner Schmähbegriff) in Fett gelöst so gut, dass ab hier und immerdar vor Spritzern auf weiße Blusen und Tischdecken gewarnt werden muss. Wie sich dies auch auf einer ganzen anderen Ebene auswirkt, kennt jeder der in einem ungarischen Haushalt schon einmal eine Küche renoviert hat: einfach den Herd von der Wand wegziehen und schon erscheint eine Art leuchtendrote „corona radiata“ in dem Umrissen der weggezogenen Kochstelle. Schwer zu säubern, besser Herd zurückschieben und weiterkochen.
An dieser Stelle endet der 2-Satz und beginnt eine Art Schachspiel. Die ungarische „Dreifaltigkeit“ ist im Topf, jetzt können die Fußtruppen anrücken. Außer der Grundaufstellung a la „Dreifaltigkeit“ können diese in unterschiedlicher Zusammenstellung nach wenig verbindlichen Spielregeln in beliebige Richtungen geschoben werden. Das erklärt sich recht einfach dadurch, dass dieser Küchenstil von Selbstversorgern praktiziert wurde, die so gut wie fast sicher immer nur Schmalz, Zwiebeln und Paprikapulver im Haus hatten, zu einer Zeit als der Satz: „Spring mal schnell zum REWE und hol doch bitte….“ noch nicht so richtig zündete. Was auch bedeuten konnte, dass zur „Dreifaltigkeit“ noch ein Liter Wasser und etwas Salz kam und fertig. Gerne wurde der rote Ansatz auch auf nackte Nudeln oder Bohnenpüree gegeben oder unter gekochte Kartoffeln gehoben. Rezepte hierfür gab es wohl eher nicht, nur Vorlieben innerhalb von Familien.
Da wo es etwas mehr zu beißen gab, bildete sich aber irgendwann auf der Basis dieser „Dreifaltigkeit“ ein gewisser Kanon an Gerichten, die bestimmten unterschiedlichen Schemata folgen und entsprechend eigene Namen erhielten. Wenn man beispielsweise nach Zusammenfügen der „Dreifaltigkeit“ Fleisch zugibt, dieses kurz anröstet und dann salzt, wird es bei geschlossenem Deckel beginnen zu schwitzen und Flüssigkeit austreten, die das Gericht am Ende zu einem pörkölt (“Gerösteten“) machen, das man in Deutschland am ehesten als Gulasch bezeichnen würde. Nur der austretende Fleischsaft wird gemeinsam mit der „Dreifaltigkeit“ die Gulaschsauce ergeben, Wasser wird nur zugefügt wenn etwas anzubrennen droht, was aber nicht passiert, wenn das Fleisch nur fett genug ist. Rechtzeitig wirft man noch ein paar frische Tomaten dazu und oder eine klein geschnittene Paprikaschote. Wenn man am Ende Mehl in saure Sahne, creme fraiche oder tejföl rührt und das fertige pörkölt damit andickt wird ein cremiges paprikás draus, vorzugsweise aus Huhn (mit Haut) oder Kalb. Pörkölt ohne diese Andickung ist meist aus Rind oder Schwein (dann oft mit Piment gewürzt), oder Hahnhoden, Hahnenkamm, Karpfenrogen, Kuddeln …………. Salzen, pfeffern, schärfen nach Belieben.
Hier folgt jetzt aber das einfache Schema “ rote Suppe“. Wir gießen einfach den Grundansatz mit Wasser oder Brühe auf und salzen ihn schon einmal. Die aromatischen Fußtruppen und später auch die sättigenden Einlagen kommen ab sofort frei zum Einsatz. Wer das schon länger praktiziert und als Resultat etwas bestimmtes im Kopf hat, kann natürlich vorgreifen und in Erweiterung des 2-Satzes oben beispielsweise Lorbeer und Pfefferkörner schon mit den Zwiebeln anrösten. Das macht sie intensiver als wenn Sie nur in Flüssigkeit geworfen werden. Auch hat der kritische Leser bereits bemerkt, dass auf einem der Bilder oben mitnichten nur die „Dreifaltigkeit“ abgebildet ist, da sieht man auch gemahlenen Kümmel, der das Einbrennen gemeinsam mit dem Paprika mit stark vermehrter Geschmackentfaltung dankt. Mit diesem Ansatz würde man ein Rindspörkölt beginnen, wir zielen jetzt damit auf eine Suppe, in die Bohnen kommen. Der Kümmel tut den Bohnen einfach gut.
Irgendwann unterwegs landen noch 2 Tomaten, eine klein geschnittene rote Paprikaschote und das am allerersten Tag für die „rote Suppe“ vorgeschnittenen Gemüse im Topf, die sowohl die Brühe aromatisieren als auch als Einlage gesehen werden können.
Wer sie nur als Geschmack haben will, kann sie gerne früh reintun und völlig verkochen lassen, sonst später, damit sie bissfest bleiben. Das gilt auch für die Kartoffeln und die Dosenbohnen, die wir in die Brühe geben. Das timing bestimmt ob es eine eher dünne Gemüsesuppe oder ein Eintopf wird.
Heute gibt es bei uns ein Mittelding: in die heiße Suppe kommen noch klein geschnittene Wiener Würstel, es wird mehr ein Eintopf. Man hätte auch Kasseler drin aufwärmen oder es ganz und nur beim Gemüse lassen können. Wir werfen kurz vor Schluss noch ziemlich unungarisch einen Zweig Thymian in den Topf, was aber voll vom italienischen Zweig des Melonismus gedeckt wird. Die Krönung sind zum Schluss ein paar Blätter Liebstöckel und ein mächtiger Schuss fette Sahne oder Milch.
Soweit die Sendung zum Thema „Ungarische Dreifaltigkeit und ihre Fußtruppen“. Wir schalten um auf Feierabend.