„BÚÉK!“ schreibt der Ungar, manchmal sagt er es auch so verkürzt, meint aber „Boldog új évet kivánok“ – „Ein glückliches Neues Jahr wünsche ich“. Wir sind zurück im in den ersten beiden Tagen von eisigen Winden umspielten Mucsi und schließen uns schlotternd, dafür umso herzlicher an.
Gott sei Dank spielt aber die Fortsetzung des Weintagebuches, das sich mit unserem 2018-er Wein beschäftigt, jetzt überwiegend „unter Tage“, also im mollige 8 Grad warmen Keller. Nichtsdestotrotz haben wir in den ersten beiden Tagen den ersten Arbeitsschritt für den 2019-er in frischer Luft vollziehen müssen: schneiden und binden der Weinstöcke.
Das erfordert zwangsläufig frische und verspielte Winzer-Wintertrends (WWT) bei der Kleidung, die auf Eitelkeiten nicht Rücksicht nehmen kann. Aber so passen wir ohnehin auch beinahe etwas besser ins allgemeine Ortsbild:
Bevor ich jetzt wie im letzten Eintrag angekündigt das „Abziehen“ und „Schwefeln“ des 2018-er Wein beschreibe, hier schon mal das fotografische Portrait der vier unterschiedlichen Tranchen des Jahrgangs:
Man beachte wie schön sich der im September/Oktober etwas verhätschelte Rosé (links) bereits von selbst geklärt hat, jetzt könnte man ihn sogar schon filtern. Er schmeckt auch fehlerfrei und fruchtig. Aber auch die roten Weine in den Holzfässern und dem Glasballon haben wir sofort und noch vor der anstehenden Schwefelung probiert und sind zufrieden. Mehr kann man jetzt seriös nicht sagen, die Gärung ist noch lange nicht abgeschlossen, ein wenig bitzelt der Wein sogar noch und schmeckt nach Most. Das wird sich bis in den Sommer 2019 hinein noch einmal gründlich verändern, vor allem die Zusammensetzung und Menge der verschiedenen enthaltenen Säuren. Ohnehin sind die Wahrnehmung und Bewertung ziemlich subjektiv. Wir haben mit zwei guten Freunden zu Viert hin und her verkostet, da schmeckt jedem ein anderer Wein und gerade der wird als mit „noch zu viel Apfelsäure“ kritisiert, von dem der nächste sagt, er schmecke diese gar nicht heraus. Auch ist insgesamt die natürliche Klärung des Weins vielleicht noch nicht so weit fortgeschritten wie sie erinnerungsweise gelegentlich sonst zu diesem Zeitpunkt schon war. Fazit: „Wir haben darüber gesprochen“. Und immerhin wurden keine Fehler festgestellt. Was will man mehr?
Jetzt zum „Abziehen“ und „Schwefeln“: die abgesetzten Trübstoffe müssen aus den Fässern und Behältern heraus und der Wein wird danach zum ersten Mal nach der Vergärung geschwefelt.
Das Wort „abziehen“ ist ganz wörtlich zu nehmen: der klare Wein über den unten abgesetzten Trübstoffen wird von oben weggenommen, abgepumpt, weggesaugt, eben „abgezogen“. Man führt einen Schlauch von oben ein bis knapp über die Trubschicht, ohne diese aufzuwirbeln, sonst wird’s trübe. Auch am Fass oder Glasballon sollte man nicht wackeln, es dauert Stunden, Tage, Wochen bis sich wieder alles abgesetzt hat. Natürlich gibt es zum Absaugen von oben mit einem Schlauch moderne technische Alternativen, wie Ablaufhähne oberhalb der Trubschicht. Aber normale Holzfässer und Glasballons haben so etwas nicht und die traditionelle Technik funktioniert bei Gefäßen unserer Größe einwandfrei und auch schnell genug.
Wir nutzen dabei das Prinzip der „kommunizierenden Röhren“ oder wenigstens so ähnlich. Ich gebe zu, dass mir die Gesetzmäßigkeiten nicht restlos klar sind, aber wenn man in einen oben stehenden Behälter einen Schlauch hält, fest daran saugt und das diesseitige Ende schnell nach unten in ein tiefer gelegenes Gefäß einführt, dann läuft der Inhalt des Gefäßes oben solange bis es leer ist und Luft gezogen wird. Und das auch dann, wenn der Wein erst einmal nach oben laufen muss, um im großen Boden überhaupt aus dem Gefäß herauszukommen. Alles klar? Macht nichts, denn wir wissen, dass es funktioniert. Der abgezogene Wein kommt direkt in ein genügend großes Zwischenlager oder läuft in 5-Liter-Krüge, die man bequem in ein größeres Gefäß umschütten kann.
Dann wird das alte Gefäß mit viel sauberem Wasser mehrfach ausgespült. Schütteln, auskippen, Wasser nachfüllen, schütteln, ausgießen. Den Trub sieht man im Glasballon sehr gut und kann auch kontrollieren, ob dieser wirklich sauber ist.
Bei den Holzfässern kann man sich nur daran orientieren, ob das auslaufende Spülwasser klar ist oder nicht. Weitere Reinigungsschritte wie Ausbrühen, Ausschrubben innen mit Flaschen- oder Fassbürsten, evtl. auch Desinfektion, sind denkbar. Nach unserer Auffassung sind diese aber an dieser Stelle – sofern die Fässer grundsätzlich einwandfrei sind – nicht nötig, der Wein kommt ja binnen einer Viertel Stunde wieder zurück. Es kommt nur darauf an, dass der Trub heraus ist.
Jetzt zum „Schwefeln“. Man lege bereit: Schwefel(pulver), eine Briefwaage und einen Taschenrechner.
Vor allem aber reaktiviere man seine mathematischen Fähigkeiten, insbesondere Dreisatz. Dem Wein soll nämlich eine exakt berechnete Dosis Kaliumdisulfit alias K2S2O5 alias E-224 zugesetzt werden, das sich im sauren Milieu Wein zu einer bestimmten Menge schwefeliger Säure umwandelt. Wir verwenden ein vorportioniertes Pulver in kleinen Tütchen. So und so viel Gramm K2S2O5 erzeugen in so und so viel (Hekto-)Litern Wein so und so viel Milligramm„freie“ schwefelige Säure und zwar pro Liter. Damit ist alles gesagt und die Aufgaben für den Taschenrechner sind definiert: wenn 10 gr Kaliumdisulfit in 100 Liter Wein exakt 50 mg freie schwefelige Säure pro Liter Wein erzeugen, wie viel Gramm K2S2O5 muss ich einsetzen, um in 67 Litern Wein einen Gehalt von 38 mg schwefeliger Säure pro Liter zu erlangen? Beliebige Abarten dieser Fragestellung lauern an jeder Ecke des Weinkellers: Das Labor hat ermittelt, dass der Wein bereits 27 mg/Liter freie schwefelige Säure enthält, was muss ich zusetzen, um diesen Wert auf 54 mg zu bringen? Und so weiter und so fort.
Kurz zur Bedeutung von „frei“ bei der schwefeligen Säure: Das aufgelöste Pulver erzeugt mehr als die als „frei“ bezeichnete Menge. Die Gesamtmenge spielt zwar auch eine wichtige Rolle, vor allem weil es eine zulässige Obergrenze für die Verzehr- und Vermarktungsfähigkeit des Weines gibt, aber für den Schutz und die Gesunderhaltung des Weins steht nur die „freie“ Säure zu Verfügung, der Rest ist gebunden oder nicht wie gewünscht wirksam. Sie verhindert die Oxidation und damit vorzeitige Alterung des Wein, indem sie Sauerstoff bindet bevor der den Wein beeinträchtigt und sie tötet Keime ab.
Die regelmäßige und einigermaßen genaue Berechnung und Bestimmung der freien schwefeligen Säure im Wein wird unseren 2019-er jetzt bis zur Abfüllung im Herbst 2019 oder später begleiten. Es gilt als vorteilhaft öfter in kleineren Dosen zu schwefeln statt auf einmal eine große oder gar die gesamt zulässige Menge zuzusetzen. Gleichzeitig passt man auf, dass ein bestimmter Wert nicht unterschritten wird – eine gerne verbreitete Winzerweisheit lautet: „Weniger als 20 ist null“. Und der Wert sinkt langsam, aber stetig. Je mehr Sauerstoff die Säure im Laufe der Einlagerung „frisst“, desto weniger von ihr bleibt „frei“ und aktiv. Final und labortechnisch exakt bestimmt werden die Werte erst bei der Abfüllung des Weins in Flaschen. Man denkt sich natürlich leicht warum: nach dem Abfüllen ist der Käs‘ gegessen, nichts kann mehr korrigiert werden. Zwischendrin geht es gelegentlich eher „Pi mal Daumen“ zu, mit Schätzungen, Annahmen, Kopfrechnen, Taschenrechnerspielcheen, Kuligekritzel und mit mit Schulkreide an die Backsteinwände des Weinkellers als Gedächtnisstützen angebrachten Notizen:
Wir nehmen an, dass solche „Oenoglyphen“ schon seit Urzeiten in Weinkellern verwandt werden. Nachdem selbst wir nach ein paar Wochen nicht mehr so genau wissen, wer da was gezählt und gerechnet hat, vor allem wenn mehrere Jahrgänge solcher geheimnisvoller Zeichen neben- und übereinander stehen bleiben, ist leicht vorstellbar, dass künftige Archäologen bei Grabungen in unserem Keller vor Rätseln stehen werden. Immerhin wird es Hinweise geben worum es geht, durch verroste Fassreifen, versickerten und versteinerten Wein im Lehmboden. Vielleicht ist die Denkrichtung „Wein“ ja auch eine Hilfe bei der Deutung von neolithischen Kritzeleien in Tropfsteinhöhlen. Dort haben ja vielleicht nicht einfach Neandertaler gehaust, sondern eventuell vorgeschichtliche Hobbywinzer, die Oenoglyphen hinterlassen haben, die man fälschlicherweise für sonst was Bedeutsames hält. Prost.
Jetzt aber zurück in die Spur: Der Wein ist abgezogen und liegt in einem Zwischengefäß. Wir berechnen die Menge Schwefelpulver, die nötig ist, um ein Niveau von 50 mg freier schwefeliger Säure pro Liter zu erzeugen. Das ist ein gebräuchlicher Feld-Wald-und-Wiesen-Wert, der ausreichen sollte, um den Spiegel bis zu unserem nächsten Einsatz evtl. erst Anfang Mai nicht unter die ominösen 20 mg absinken zu lassen. Das Pulver wird in 1-2 Liter Wein eingerührt und aufgelöst, dann der Gesamtmenge zugesetzt und sorgfältig untergerührt.
Der Profi hat in den großen modernen Stahltanks fest Rührwerke eingebaut, die er für wenigstens 10 Minuten in Gang setzt, um den Wein in alle Richtungen durchzuquirlen und den Schwefel so gleichmäßig wie eben möglich im gesamten Tank zu verteilen. Wir benutzen dazu alternativ einen großen Holzkochlöffel oder auch einen in eine normale Bohrmaschine eingesetzten Umrührer für Fertigbeton.
Dann wird der Wein in das gereinigte ursprüngliche Gefäß zurückgefüllt. Alle Vorgänge laufen für alle Tranchen gleich, aber getrennt hintereinander ab. Mischen möchte man die unterschiedlich schmeckenden Partieren lieber so spät wie möglich, um sich die Option offen zu halten, sie getrennt zu lassen und abzufüllen. Zusammenschütten kann man sie später schließlich immer noch.
Aber mit dem Zurückfüllen nach dem Schwefeln können wir für heute leider immer noch nicht zu Ende kommen: Der aufmerksame Leser wird längst gemerkt haben, dass oben noch etwas zu viel Luft in den Fässern und Ballons ist. Schließlich ist ja der Trub raus und musste ausführlich degustiert werden. Da fehlen auch bei den kleinen Holzfässern schnell 3 Liter zum idealen Füllstand. Die müssen nun ersetzt werden. Wenn jetzt kein kleineres Gefäß des gleichen Jahrgangs auf diese Weise aufgelöst werden kann, muss man sich anders behelfen. Wir kaufen 5-literweise Wein bei einem Winzer im Nachbarort Tevel, aber auch günstiger italienischer Merlot vom Discounter aus 1,5-Liter-Flaschen – Deckname „Merlot-Reserve“ – wird gerne genommen. Im Moment bauen wir aber Überkapazitäten älterer Jahrgänge auf diese Weise an. Insgesamt etwa 10 Flaschen 2013-er sind so in die 2018-er Fässer gewandert. Das Auffüllen mit (beinahe beliebigen) anderen Weinen ist – nach meiner Erinnerung bis zu 15% der Gesamtmenge – auch im professionellen Weinbau weder ehrenrührig noch deklarationspflichtig, sofern die zugemischten Weine aus dem gleichen Anbaugebiet stammen. Das ist erst einmal eine beinahe alternativlose produktionstechnische Notwendigkeit, wenn eben keine passende Menge des gleichen Weins zum Auffüllen der Fässer verfügbar ist. Jeder Winzer wird das zu vermeiden versuchen, aber ganz ungelegen kommt das auch nicht. Ich will mich mit Blick auf andere nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, aber so mancher eigentlich harmlose Grauburgunder wird sicher durch eine Prise Traminer sehr viel interessanter. Und auch wir wissen, was unserem Monarch als „Auffüllpartner“ im Zweifelsfall am Besten steht: Praktisch alle unsere Weine enthalten ein paar Prozent Merlot. Hier zwinkert der Schelm und beendet die freimütigende Beichte eines Weinschaffenden.
Zum Ende unseres Aufenthalt hat es dann noch über Nacht 10 cm geschneit. Danach kam zwar die Sonne, aber gut, dass wir hier vorher mit den Arbeiten fertig waren:
Mit dem Schneiden und Binden des 2019-ers und dem Abziehen und Schwefelns des 2018-ers ist für das Allerwichtigste bis etwa Anfang April gesorgt. Wir werden uns wahrscheinlich sogar leisten, erst wieder Anfang Mai zurückzukommen und die Austriebsspritzung 2019 ausfallen zu lassen (vgl. http://www.wolfgang-barina.de/wein2018/2018/04/04/4-april-2018-ritter-der-schwefelrunde/). Was dann genau anfällt sehen wir erst vor Ort. Und werden es hier erzählen.
Für den Moment noch ein Foto vom sonnigen Sonntag, 6. Januar 2019, das wir schon einmal für den Wettbewerb „Fotos für die Etiketten des Jahrgang 2019“ nominieren.