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Der Nicht-Spind-Pilz

SpechttinglingDie folgende Gedankensülze
steht unter der Maxime "Pilze".
Doch außer, daß das Thema richtig,
erscheinen and're Dinge wichtig:
denn unser allerhöchstes Streben
ist, daß die Verse Reime geben.
Und zu diesem hehren Zwecke
denkt mancher schon mal um die Ecke;
Drum, um zu klär'n den nächsten Reim,
kehr'n wir aus dem Wald erst heim.

Hier betrachten wir die Schränke,
ignorieren Tisch und Bänke;
Schränke gibt's für Hut und Kleider,
große, kleine, feuchte (leider);
wenn wir tief im Keller sind,
steh'n wir vor dem Eisenspind.
Dieser ganz besond'ren Sorte
gelten meine weit'ren Worte:

Ist so ein Spind aus reiner Pappe
nennt man ihn falsch, ist er Atrappe,
Doch wenn er dick und eingeblecht
und vorn ein Schloß hat, isser echt.
Viele Kumpel, hartgesotten,
lagern darin die Klamotten;
für das Frühstück, für die Panne
dorten steht die Kaffeekanne
und so mancher brave Mann
nagelt hier sein Pingirl an;
alles huldigt dem Vertrauen:
aus dem Echtspind geht nichts klauen!

In Fabriken und in Schuppen
steht der Spind in langen Gruppen.
Einer ist des and'ren Nachbar,
grad die Reihen, stramm und achtbar!
Wie ? Ich hör' jetzt Murmelei:
"Wo daran das Besond're sei ?"

Gut, nur Geduld, ich nun berichte
Euch vom Sinn der Vorgeschichte.
Euch werden sich die Ohren heben:
der Echtspind führt ein Doppelleben!:

Des Nachts, längst ruh'n die müden Kumpel,
hört man im Raum ein schwach Gerumpel;
bei Halbmond, (nicht einmal der Pächter
weiß davon und nicht der Wächter),
so leise, wie er eben kann,
der Echtspind fängt das Wandeln an.
Zuerst ein leises, flaches Schleifen,
tief im Stragula bleiben Streifen,
dann, flotter, klarer wird der Rhythmus,
ertönt ein Tanz, wo jeder mit muß.
Schneller, immer schneller weiter,
die Spinde sind berauscht und heiter;
sie bilden dann zu später Stunde
eine kreisesgleiche Runde
und fassen sich zum Weitertraben
an Händen an, die sie nicht haben,
doch die ich gleichwohl nicht erfunden,
ihr seht sie damit ja verbunden!

Es ist ein Wunder, daß solch Treiben
so lange konnt' verborgen bleiben.
Immerhin, im Bistum Mundig
ward es schon mal aktenkundig.
Ein Mann der Forschung, ein Herr Tuch,
schrieb nieder in sein Tagebuch:
"Dieses kaum bekannt' Gebinde
ist der 'Ring der echten Spinde',
den wir hier, so traumhaft schön!,
wohl als erste Menschen sehn."

Noch ein wenig Klötze staunen,
von der Schöpfung Schönheit raunen.
Da!, plötzlich weg, wie Wein aus Kanaa',
Vata, Mutta, Kind Morgana.
Draußen wird es wieder hell,
aber alles merken, gell!?

Denn nach dieser Vorbetonung
dreh'n wir uns um, zurück zur Schonung!
Wir suchen einen Pilz mit Hut,
der's, wenn er vorkommt, häufig tut.
Er wird recht hoch, der Stiehl der leuchtet,
sein Hut der klebt und ist befeuchtet.
Der Stengel weiß, der Rest oliv,
ein formidables Malmotiv;
auch dann mal bis ins schwarze schon
changiert des Hutes Farbe Ton.
Doch stets wird daran man entdecken,
daß er geziert mit weißen Flecken,
was, so singen uns die Lieder,
Anklang schafft an das Gefieder
eines Vogels, dessen Namen
ihn bezeichnen tut und Amen.

Unser Pilz ist stets voll Sorgen
denn es gibt für ihn kaum morgen,
sein besond'rer Habitus
ist, daß er schnell vergehen muß:
des schicken Hütchens Modeschrei 
verliert sich dann in Tintenbrei.
Über sein soziales Leben
kann man solche Kunde geben:
er steht einzeln, mal in Paaren,
kann dabei die Form nicht wahren,
macht die Ordnungsfreunde wild;
so erscheint sein Gruppenbild:
hier gleich drei und dort ein Schärchen,
links steht keiner, rechts ein Pärchen.

Na ja, was will man schon erwarten,
von solch schwach begabten Arten:
in deren Hirnen fehlen Zellen
sich akkurat im Kreis zu stellen!
Und dies hebt ab vom Echtspindring
den ungeschickten Spechttintling.

Worauf wir das Geständnis wagen,
daß, zitternd um den Kopf und Kragen,
den Ring vom Spind erfunden hätten,
um den verdammten Reim zu retten
und bitten, lieber Leser, Dich,
wenn Dir es möglich, also sprich
zum Zeichen Deiner Charité:
"Ego Dich absolvo te!"

(25.10.90)

 

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