Tag 16 – Von Virovitica nach Osijek
Freitag, 26. Juni 2015
Der Plan
Auf geradem Weg in Richtung Osijek und möglichst heute noch dort ankommen.
Wie es war, was geschah
Osijek hat Straßenbahn. Als ich um 15.55 Uhr am Stadtrand auf eine an der Endhaltestelle wartende Tram treffe und Schienen sehe, kommt nach drei Tagen Fahrt durch verschlafene slawonische Kleinstädte und Dörfer der Wiedereintritt in die Zivilisation unerwartet und überraschend. Kurz vor der Innenstadt kann ich durch ein Parkgelände an die Drau fahren, von hier über eine Art Promenade , einen Bootshafen und schon bin ich im Zentrum. Dort wird auf einem Platz eine große Bühne hergerichtet, es gibt Stände mit slawonischer Wurst und Gepäck, Frauen in Tracht, einen Fiaker. Ein Radio- oder Fernsehteam interviewt mitten unter den Menschen den Chefkoch des Hotel Osijek und ein wenig auch sich gegenseitig. Bei der Suche nach einem Hotel durchfahre ich ein paar sehr schöne Straßen. KuK-Jugendstil, wie ich das aus Budapest, Pecs, Kecskemét und auch Prag kenne, nur alles etwas niedriger. Die größte Überraschung ist aber der beinahe urbane Flair und wie elegant die Leute herausgeputzt sind. In einer „American Bar“ gibt es einen Innenhof mit unverputzten Wänden, Wäsche an Leinen, fensterlose Fenster irgendwo oben. Eine der Rezeptionistinnen im Hotel Drava, in dem ich dann wohne, kennt den Laden – er ist neu – und findet ihn furchtbar, wie sie auch gerade das Urbane an Osijek nun gerade gar nicht leiden kann. Sie spricht ein sehr differenziertes amerikanisches Englisch, so dass man einmal wirklich etwas genauer nachfragen und sich verständigen kann. Sie ist am Wochenende lieber in ihrem Dorf irgendwo auf dem slawonischen Land und überhaupt seien die Leute hier heute nur so aufgebretzelt, weil Freitag Abend ist. Ich bin aber einfach spontan von der Stadt eingenommen und vom Flair dieses Abends im Freien und schreibe übermütige SMS an Gott und die Welt wie toll es hier ist. Das Konzert auf der Bühne erlebe ich nicht mehr, völlig übermüdet schleiche ich auf mein Zimmer und verschlafe auch das Frauen-Viertelfinle bei laufendem Fernseher gegen Frankreich. Rechtzeitig zum Ausgleichstor und dann wieder zum Elfmeterschießen gehen mir die Augen auf.
Gekommen bin ich 124 km über die Landstraße und dabei beinahe ohne Pause durchgefahren. Nach der Erfahrung bei der Hotelsuche in Virovitica wollte ich unter allen Umständen versuchen, in Osijek anzukommen. Die Hotelportale im www verzeichnen dort Unterkünfte ohne Ende, da kann kaum was schief gehen, und so war es dann auch.
Frühstück gab es am Morgen noch in der großen Wohnküche der Familie der Villa Magnolija, eine Riesenwahl Wurst und Käse, dazu Weißbrotstangen, aufgestapelt wie ein Haufen Brennholzscheite im Wald. Mit dem Hausherren schaue ich auf die Karte und beschließe keinerlei Kompromisse an Radwege oder verspielte Nebenstraßen zu machen.
Auf einen Zettel für die Rahmentasche notierte ich die Durchgangsorte meiner Strecke: Borova – Suhopolje – Oresac – Novaki – Vaska – Skopje – Noskovc – Cadavica – Moslavina P. – Donij Miholjac – Belisce – Alpovo – Osijek. Die ersten 30 km Ort für Ort, später nur noch die größeren Ansiedlungen. Irgendwo bei Moslavina treffe ich ohnehin auf eine mit der Nr. 34 gekennzeichnete größere Verbindungsstraße, dort gibt es wie erwartet eine Ausschilderung auch über größere Entfernung und auch Kilometerangaben.
Auf der Nebenstrecke am Anfang habe ich für fast 2 Stunden die bestens ausgebaute Straße für mich alleine. Kilometer vor und hinter mir keine Auto. Der einzige Schrecken der Landstraße ist ein alter mongolischer Traktor, der es nur langsam an mir vorbei schafft. Nach Erreichen der Straße 34 wird es voller, aber es bleibt erträglich. Ich stelle mich auf den Verkehr ein und habe stets eine Ausweichmöglichkeit nach rechts im Auge, für Situationen, in denen ich neben zwei Lastwagen bin, die in Gegenrichtung aneinander vorbeifahren. Erst die letzten etwa 20 Kilometer nach Osijek herein werden richtig unangenehm, da rauscht es nur so um mich her.
Das geht aber schnell vorbei und dann kommt die bereits geschilderte Einfahrt in die Stadt.
Kurz will ich erklären warum ich mir das antue: am 16. Tag der Reise überkommt mich das Gefühl, dass ich es jetzt zügig hinter mich bringen will. Noch die Draumündung und dann ab nach Mucsi und Schluss. Hier in der Ebene bin ich es plötzlich müde, allein zu sein und alleine zu fahren. Ein bisschen Gesellschaft wäre langsam ganz gut und das nicht nur, um abwechselnd im Windschatten fahren zu können. So richtig zieht es mich in den Stall als ich im Norden jenseits der Auwälder weit in der Ferne die beiden höchsten Erhebungen des Mecsek-Gebirges in Ungarn sehe, den Tettye und den Zengö, darunter, noch näher an mir, liegt Pėcs. Auf dem Tettye kann man sogar den Fernsehturm sehen. Kurz danach noch der unverwechselbare Villanyer Berg, auf dem die Reben für die teuersten ungarischen Rotweine stehen. Etwa 50 km hinter jener Kulisse liegt Mucsi und da will ich dann nun auch bald ankommen. Meine jetzige Route Route ist diesbezüglich ein großer Umweg.
Zu dieser Stimmung passend meldet sich zum ersten Mal auf dieser Reise mein Körper bei seinem Kopf: „Wenn Du da oben nicht mehr willst, kannst Du bitte schön mit mir auch nicht mehr rechnen.“ Abends habe ich plötzlich „Hintern“ und einen Krampf im Oberschenkel.
Zudem sehe ich die Drau seit Donja Dubrava nur noch sehr selten. In den letzten 24 Stunden genau 2 Mal: jeweils abends in Barcs und Osijek, von Brücken aus. Dazwischen lässt sie niemanden mehr an sich ran. Seit Donja Dubrava hat es ein Ende mit dem Stauen und der Regulierung der Flussufer. In den Nationalparks Mur-Drau, Drau-Donau darf sie machen was sie will und bildet endlose Mäander, Auwälder, Nebenarme und sumpfige Schwemmländer, die letzten gänzlich unberührten Flusslandschaften im westlichen Europa. In diesem Streifen Wildnis gibt es aber keine Dörfer und Straßen, nur unbefestigte Stichwege fuhren hinein und die liegen natürlich quer zu meiner Hauptroute und sind Sackgassen. Einen vernünftigen Kompromiss gibt es nicht. Wer in diesen Abschnitten die Drau sehen will, muss eigens dafür an geeigneten Stellen Quartier nehmen und losziehen. Das passt jetzt einfach nicht in meinen Reiseplan, was mir aber kein Problem ist, da ich von Mucsi aus jederzeit in wenigen Stunden herkommen kann. Wer diese Möglichkeit nicht hat, sollte Aufenthalte für den Besuch der Auwälder einplanen und am besten auch zu Hause mit Literatur vorbereiten. Ich kann mir auch vorstellen, dass es geführte Touren gibt. Spontan und an beliebiger Stelle irgendwo an der Drau loslaufen würde ich nicht unbedingt.
So gesehen ist es ein reiner Arbeitstag auf dem Rad, da muss man jetzt halt durch. Das bedeutet aber nicht, dass ich schlechte Laune hätte, man kann auch vergnügt arbeiten. Und es gibt immer was zu schmunzeln: bei einer Kaffeepause in Valpovo dröht aus dem Lokal laute Blues-Musik. Ich bin der einzelne Gast und sitze draußen. Bei der Bestellung signalisiere ich der Bedienung mit Daumen nach oben, dass ich die Musik super finde. Er freut sich, dass ich das überhaupt wahrnehme und mit dem altmodischen Gitarrenkram was anfangen kann. Ich frage „Eric Clapton?“ und denke an neuere Aufnahmen oder ein Remake, es ist in irgendwie 70er-mäßig, klingt aber frischer. Aber es ist original Fleetwood Mac aus dieser Zeit, ein Album, das ich nicht kenne. „Oh, then the guitar player is Peter Green“. Jetzt hebt er den Daumen und der Cappucino geht auf seine Rechnung.
Die Zahlen
Tageskilometer Rad: 124,3
Fahrzeit netto: 6:40 Stunden, wenig Pausen
Gesamtkilometer: 1.298,6
Tag 16 – Die Bilder zum Bericht vom Tage
Tag 15 – Von Donja Dubrava nach Virovitica
Donnerstag, 25.6.2015
Der Plan
Weiter durch die Drauebene in Richtung Osijek, Tagesziel irgendwo auf der Linie Barcs – Virovitica
Wie es war, was geschah
Am Abend in Virovitoca mit Müh und Not in einer privaten Pension – Villa Magnolja *** – untergekommen. Um es von hinten zu erzählen: nachdem ich erstmal hier war, war es ein Glücksfall. Mladen (?), der Hausherr, 70+, wartet nach wenigen Worten mit klassisch vorgezeigtem Zeigefinger und Daumen auf: „Ein kleine Schnaps?“. Jetzt geht einfach nur noch Anerkennung der Geste und Gastfreundschaft vor Vernunft, außerdem fühle ich mich Ende eines erneut übervollen Tages jetzt einfach danach und genieße die 4, 5, 6 cl Willie – einen Birnenschnaps vom Schwager – mit großer Dankbarkeit und Demut. Damit hätte ich heute wirklich nicht mehr gerechnet. Auch nicht mit zwei ofenwarmen Kuchenstücken, gefüllt mit Aprikosenmarmelade, die mir aufs Zimmer nachgetragen werden, kaum dass ich eingezogen bin.
Wo soll ich jetzt anfangen zu erzählen?
Am Morgen nach längerem Kartenstudium entschieden, dass ich mir von Donja Dubrava aus eine Route suche, die mich wie auch immer nach Gola an der kroatisch-ungarischen Grenze führt. Danach will ich nördlich der Drau auf der ungarischen Seite auf einer der der Karte einigermaßen geraden Linie bis Barcs fahren, wieder über die Grenze wechseln und im kroatischen Virovitica übernachten, um mich morgen von dort soweit wie möglich in Richtung Osijek weiterzubewegen. Dieses Ziel habe ich am Ende des Tages erreicht. Vieles was dazwischen liegt hätte ich mir anders vorgestellt, wenn ich auch nichts davon missen möchte, bis auf …., aber davon später.
Anfangs läuft alles nach Plan, auf dem Weg über Legrad begleiten mich sogar Fahrradwegsymbole, später sogar eine „DRAVA ROUTE“. Irgendwie sieht es eine Weile so aus, als wenn diese Wege so laufen wie ich mir das für mich zurecht gelegt hatte. Als es dann doch an einer Stelle anders weiter geht, beschließe ich der „DRAVA ROUTE“ mein Vertrauen zu schenken, wer weiß, vielleicht kann ich ja doch den ganzen Tag in Kroatien bleiben und un Richtung meines Zieles vorankommen. Als ich jedoch von hinten auf ein weitläufiges Gebiet mit unzähligen Baggerseen und einem Jugendferienlager zufahre, an dem ich vor einer halben Stunde auf der anderen Seite vorbeigeradelt bin, breche ich ab und setze Plan A wieder in Kraft. Jetzt zurück auf die Piste nach Gola und ab nach Ungarn. Aber wo es geht es von da wo ich jetzt bin dahin? Ich frage hintereinander zwei Leute auf der Straße und will die immer gleiche Antwort nicht glauben: weit zurück auf der Straße, auf der ich gekommen bin. Ich schlucke die Kröte und merke bald, dass es eine ganz andere Straße ist. Zeitweise habe ich das Gefühl für meine Position und für Richtungen verloren.
Bis ich wieder auf Linie bin, habe ich 10-15 Kilometer verschenkt, aber auch durch Hinweisschilder erfahren, dass ich im Drau-Mur-Nationalpark, später auf der ungarischen Seite im Drau-Donau-Nationalpark unterwegs bin.
Auf Gola zu läuft dann schließlich alles doch reibungslos, ich rolle meist mit Rückenwind, wie auch später noch einmal am Nachmittag, bei beinahe null Verkehr über meist brettflache Asphaltstraßen. Zeitweise komme ich mir vor wie ein Zeitfahrer: oben eine stabile unveränderliche Sitzposition, unten laufen die Beine auf in einer bestimmten Frequenz gleichmäßig wie eine Nähmaschine. Komme was da wolle.
An der Grenze ist der kroatische Posten gar nicht besetzt, das Personal ist auf der ungarischen Seite in Gestalt einer kroatischen und einer ungarischen Beamtin zusammengezogen. Die inspizieren gerade ein leeres blaues 200-Liter-Plastik, das ein Ungar in die Heimat bringt iert und aus dem offenen Kofferraum eines rostigen Lada ragt. Befragung und Antworten haben etwas von Schilda, denn rein ins Fass schaut natürlich niemand, es wird nur ein wenig dagegen geklopft.
Als ich dann dran bin, liest die Kroatin ein wenig in meinen scheckkartengroßen Personalausweis hinein und reicht ihn wortlos an die Kollegin weiter. Die sagt „Jó napot“ und ich auch. Wir wechseln noch ein paar Sätze auf ungarisch – Sie kommen wohl öfter hierher? Ja, Haus im Komitat Tolna, Mutter dort geboren, Frau wartet schon auf mich, aber erst noch Osijek und an die Draumündung – und ich merke peinlich berührt wie sie charmant lächelnd beinahe dahinfließt. Als ich wieder losradele, sagt sie noch „joj“ wie weiland Piroschka Pulver, hebt aber leider nicht die Kelle zur Zugabfahrt und pfeift auch nicht. Das war dann eben doch ein anderer Film. Obwohl, eine Schildmütze hätte sie schon aufgehabt…
Etwas ähnliches dann noch einmal mit der etwas älteren Bedienung eines Cafės, die es freut, dass ein Ausländer ein wenig ungarisch spricht. Ich genieße so eine Art Heimspiel und bekomme vorgeführt wie ein klitzeklein-wenig ich mittlerweile nun auch in diesem Land verwurzelt bin.
Was sonst vom Vormittag hängen geblieben ist: irgendwo unterwegs ein auf der Gegenfahrbahn stehen gebliebenes Auto, der Fahrer liegt auf der Fahrbahn und inspiziert die Stoßstange von unten. Ich denke, dem wird halt sein alter Blechhaufen auseinander fallen und sehe erst spät den niedergestreckten Jungfuchs neben dem Wagen liegen, kaum größer als einer dieser verwöhnten Nordendkater.
Das sagt schon einiges über die Gegend hier aus, dass die Füchse am helligten Tag auf der Gasse rumlaufen und auch mittags den Hasen gute Nacht sagen. Ähnlich erhellend, dass seit ein paar Tage die Zahl der Storchennester pro Dorf beharrlich zunimmt, die finden ohne Ende Futter für den zahlreichen Nachwuchs, der derzeit schon 3/4 der Größe der Altvögel erreicht – oft drei in einem Nest -, aber noch schwarze Schnäbel hat und nicht fliegen kann. Dem gegenüber nimmt wiederum der Zahnbesatz der einfachen Menschen auf der Straße umgekehrt proportional ab. Einer meiner wegweisenden Gewährsleute vom Vormittag hatte noch so 50% zu bieten und fragt wie alt ich bin, dazu natürlich nach Frau und Kindern. Er selbst sei 40. Ich hätte ihn für 50+ gehalten. Ich sage „zweiundsechzig“ und zeige sicherheitshalber erst 6, dann 2 Finger. Er lacht: „ich alt, du jung!“. Das Witzchen erscheint mir etwas sublim, ich lasse es gut sein. Nachdem ich weitergefahren bin dämmert mir, dass er mich für 26 gehalten haben könnte. Sei’s drum. Ich hatte ja meinen Helm über den Silberstoppeln und er schon am Vormittag ordentlich einen im Tee. Was Wunder also.
Die letzte Schote am Vormittag war meine fixe Idee, aus der Reise eine Reise-2.0 zu machen: die WordPress-app auch auf meinem Fon installieren und Geschichten wie die vorigen beim Fahren per Spracherkennung direkt im Fahren posten. Geht das?
Dann kam die Grenze, kam Piroschka, die Mittagspause, ein ungarisches Bohnengulasch und der große Schock. Ich hatte all das, was ich bisher erzählt hatte bereits beim Suppellöffeln ins Tablet getippt als die Datei nicht mehr zu speichern und nach Schließen des Programms auch nicht mehr zu öffnen ist. Futsch, alles futsch und umsonst. Die eingeschobene Speicherkarte hat eine Macke. Alles weg und vergebens.
Auf dem anschließenden Ritt über 40 km nach Barcs bereue ich meinen Übermut-2.0, nichts ahnend, dass mich das Thema später noch einmal harsch einholt. Ich gebe noch mehr als am Vormittag Gas und fahre über 2 Stunden einen Schnitt von über 20 km/h, wissend dass ich am Abend nachsitzen muss, wenn ich die Geschichten nicht verlieren will. Aber jetzt kann ich das nicht ausbügeln und nehme erstmal zwei neue Episoden auf: gegen halb vier schnüre ich zügig an drei jungen Damen mit sinti-roma-Hintergrund vorbei – hier schnörkellos Zigeunerinnen geheißen -, die auf verbeulten Rädern von irgend einer Arbeit kommend nach Hause eiern. Ihr aufmunterndes Gejohle baut mich auf. Genau wie kurz drauf eine Gruppe von 4 halbwüchsigen Jungs auf Rädern. Einer ruft mir zu: „Egy versėny – Ein Rennen?“. Er fragt aber nicht, ob ich eines fahre, sondern bietet mir eines an. Kurz darauf fliegt er an mir vorbei: „Ėn vagyok gyorsobb – Ich bin schneller“. „Biztos. – Sicher“. Er fällt wieder zurück und lässt es wieder gut sein, während ich stoisch mein Tempo durchziehe. Nach einer halben Stunde hätte ich aber schon gerne gewusst, welche Farbe er angenommen hätte wenn er bisher mitgehalten hätte.
Barcs gegen 17 Uhr, eine letzte Kaffeepause, jetzt bleiben noch 16 km über die nahe Grenze ins kroatische Virotiviva, dort in irgend ein Hotel. Da ich seit Abfahrt heute morgen vom Rad aus nicht eine einzige Unterkunft gesehen habe, gehe ich sicherheitshalber noch in Barcs mit dem Fon ins Netz und checke ein einschlägiges Portal. Sieht nicht so gut aus. Auch nicht in Barcs, für den Fall dass ich jetzt hier bleiben würde. Sicher wäre nur ein relativ teures Haus noch 10 Kilometer weiter als Virotivica. Dann gibt es dort wohl noch was nicht so dolles, das ich nicht buche, obwohl ich es könnte. Die Portale haben ja nicht alles, es muss da doch einfach noch so was zu finden sein.
Jetzt flott. Ritt ex Barcs wie gehabt, zügig, trotzdem der Tacho bald 110 km Tagesstrecke anzeigt. Geschafft, aber kein Hotel in der Stadt. Nur das besagte 10 km weiter und noch ein weiteres, ebenfalls weit weg. Ich frage dreimal Passanten, die auch keinen Plan haben. Zweimal werde ich Ortsmitte auf ein Gebäude verwiesen, das wohl tatsächlich einmal ein Hotel war, aber nicht mehr ist. Später wird Mladen*** mir erzählen, dass es nach der zeitweisen Belegung mit innerkroatischn Flüchtlingen während des Balkankrieges nicht mehr wieder eröffnet wurde.
Im Moment aber überkommt mich zunehmende Unruhe und ich ergreife den Strohhalm-2.0. Ich wähle mich wieder ein und buche die nicht so dolle Unterkunft. Dann gehe ich vollends aufs Ganze und lasse mich vom Navi des Buchungsportals sprachgesteuert zur Unterkunft lotsen. Der Weg führt aus dem Zentrum in ein schäbiges Industriegebiet, es wird also eine Absteige für Brummifaher. Sei’s drum. Aber auch das zerschlägt sich bald. Ich lande bei einer Tankstelle mit einem Rückgebäude „Restaurant und Zimmer“. Das wäre es also gewesen. Aber überall hängen Zettel – Tankstelle, Restaurant, Fenster: am 25.6. geschlossen. Die Baggage hat vergessen, den Tag beim Buchungsportal abzumelden!
Glück im Unglück im Glück im Unglück: unterwegs zu diesem Trauerspiel war dann doch noch ein Hotelschild ins Auge gefallen, dem ich dann schließlich gefolgt bin.
Und dann kam Mladen mit dem Birnenschnaps und dem warmen Kuchen und alles ist gut.
Und jetzt gehe ich ins Bett, es ist zwar schon 0:45, aber das Nachsitzen-2.0 und das Noch-einmal-alles-von-vorn-schreiben waren nicht so arg schlimm und haben sich gelohnt. Manches wird ein wenig anders, manches sogar besser. Heute morgen hatte ich das mit der Piroschka Pulver und den Zahnarzt noch nicht im Text. Na bitte.
Die Zahlen
Tageskilometer Rad heute: 119,8
Fahrzeit: netto 6 Stunden 15, Mittagspause
Gesamtkilometer: 1.174
Tag 15 – Die Bilder zum Bericht vom Tage
Tag 14 – Von Maribor nach Donja Dubrava
Mittwoch, 24. Juni 2015
Der Plan
Drauabwärts, Tagesziel wetterabhängig, die. 1.000-Kilometer Marke knacken
Wie es war, was geschah
(Das folgende Stück ist nicht Korrektur gelesen!)
Maribor gegen 8.45 Uhr bei trockenem Wetter verlassen. Den Abend gestern im Zimmer verbracht. Die Innenstadt, wo ich nacn den Eindrücken des letzten Besuches reges Kneipenleben erwartet hatte, war ausgestorben. Die wenigen geöffneten Restaurants und Bars sind gähnend leer und verbreiten Tristesse. Vor einer Bierbeize steht eine Gruppe kalauernder, rauchender Männer, aus der es dröhnt: „I said to him, don’t arrange me any women!“. Ein Busfahrer rast einhändig lenkend um eine Kurve und beißt in die mit der anderen Hand gehaltene Waffel einer Eistüte. Bei Spar kaufe ich Brötchen, Schoko, Schinken und Rotwein. Das war Maribor.
Auf örtlichen Radwegen taste ich mich nach Gefühl aus der Stadt heraus, finde einen Kurs und treffe bald auf einen Radweg, der bis Ptuj ausgezeichnet ist. Was jetzt klar wird: auf der Bahnfahrt von Vuhred nach Maribor habe ich die Alpen im eigentlichen Sinne verlassen. Die Drau durchfließt jetzt ein mitunter 20, 30 Kilometer breites Tal, die höheren Berge auf der Südseite zu meiner Rechten, hinter denen ganz in der Ferne Zagreb liegen müsste, sind manchmal nur noch ganz schemenhaft zu sehen. Die linke Seite des Tals oder jetzt besser der Drauebene bildet eine grüne wald-, wiesen- und weinbestandend endlose Hügelkette, die sich jetzt beinahe bis zur Mündung in die Donau dort halten wird und nördlich der Grenze in Ungarn fortsetzt.
Die Drau – oder das, was von ihr übrig ist – schlängelt sich immer an den Hügeln an der linken Seite des Tals entlang. In ihrem alten Bett gibt sie mit lehmigen Sandbänken und wucherndem Ufergrün eine idyllische Kulisse für Angler ab, hat aber den Großteil ihres Wassers an einen schnurgerade durch die Ebene gezogenen Kanal abgegeben, der zuerst in Slowenien, später in Kroatien jeweils in einen etliche Kilometer langen Stausee übergeht. Aber anders als in Kärnten haben weder Kanal, noch die Stauseen irgendwelche natürlichen Begrenzungen durch Berghänge oder fügen sich in eine Tallandschaft ein. Es sind einfach in der spiegelglatten Ebene Dämme aufgeschüttet, die mit dem minimalen Gefälle immer höher werden. Am unteren Ende stehen sie dann wie gefühlt 20 Meter hohe Badewannen in der Landschaft und speisen wohl meist Kraftwerke. Beim Passieren der Staufstufe vor Donja Dubrava am späten Abend wird mir bei diesem Gedanken etwas plümerant. Ich bin nicht sicher, ob so etwas bei uns genehmigungsfähig wäre. Fast möchte ich die Dämme einem gewissen sowjetischen Gigantismus unterschieben, weiß aber auch, dass die Regulierung der Flüsse in dieser Region – auch weiter nördlich in Ungarn – bereits mit der Industrialisierung, der Trockenlegung der malariverseuchten Flussniederungen und der Erschließung von Verkehrswegen und neuem Ackerland begonnen hat. Das kann also alles durchaus auch schon älter sein.
Die Fahrt entlang der pittoreken Hügelkette führt mich nach Ptuj, später nach Ormoz. Meist fahre ich unten, die wenigen Schnitte in den Hang buche ich heute erstaunlicherweise unter „fun cycling“, sie unterbrechen angenehm die gleichförmige Bewegung. Und ganz neu: wenigstens bis zu einer gewissen Steigung finde ich zunehmend Vergnügen auch am Bergauffahren. Im Flachland rechts jede Kürbisfelder, an der Straße immer wieder Häuser und Höfe, die eigenes Öl pressen und verkaufen. Alles picobello, gediegen, erinnert mich entfernt an kleine Olivenölbetriebe in Istrien.
Kurz vor Ptuj wimmert das Hinterrad wie ein Quietscheentchen. Nachdem es durch Gesundbeten nicht weg geht mal wieder Boxenstop am Wegesrand. Ich muss zwar mal wieder alles abladen, das Rad auf den Kopf stellen, habe aber Glück. Eine Gummimanschette über dem Ende der Achse, von der ich fast denke, dass sie bei der Montage des Reifens hätte entfernt werden sollen, reibt sich an der sich drehenden Nabe. Das ist ja nun gar nichts, Glück gehabt. Ich schiebe das Teil ein wenig nach außen und schon ist Ruhe. (An dieser Stelle fängt das Tablet plötzlich das Sprechen an und eine Dame liest mir meinen Text vor, beinahe flüssig und mit der richtigen Betonung. Sie ist allerdings auch so frech, mir die Tippfehler zu buchstabieren. Ich habe keine Ahnung, welchen Knopf ich versehentlich gedrückt habe. Wer kann helfen?)
Ptuj hätte ich beinahe übersehen oder besser unterschätzt. Es geht eine unscheinbare Straße hintunter, vor mir ragt die wenig interessante Rückseite einer zwar großen, aber nicht umwerfenden Burg auf einem Bergrücken auf. In die dahinter liegende Stadt fahre ich zunächst nicht, der Verkehr wird auf eine triste Umgehung geleitet. Erst am anderen Ende rolle ich zurück in eine kleine Fußgängerzone und fotografiere das imposante Jugendstilrathaus.
Wenige Kilometer nach der Stadt bekomme ich dann doch noch ein paar Informationen. Meine Frage an einen etwa vierzig Jahre alten Mann nach dem Weg wächst sich zu einem dreißigminütigen Gespräch aus. Er spricht perfekt deutsch mit einem hiesigen, wenn auch nicht slowenischen Akzent. Wie ich mütterlicherseits in Ungarn aus einer „schwäbischen“ Familie komme, stammt er hier aus einer „steierischen“ Familie. Und schon sind wir wieder mitten drin in den Wirren des 20. Jahrhunderts in dieser Region. 1. Weltkrieg, 2. Weltkrieg, kalter Krieg, Wende. In der KuK-Monarchie war das hier die Untersteiermark. Ptuj war Pettau und „über 800 Jahre unter der Krone“, sagt der Herr, genau wie Marburg, das jetzt Maribor heißt. Dort gab es 10.000 Deutsche. Ich erkundige mich wo genau die alte Grenze von der alten Untersteiermark zum damaligen Königreich Kroatien-Ungarn lag. Wir streifen die Umverteilungen und Staatenneubildung nach dem ersten und die frühe jugoslawisch-sowjetische Zeit nach dem zweiten Weltkrieg und wissen, dass wir in ein Wespennest gestochen haben und niemals ein Ende finden werden, wenn wir jetzt nicht einfach aufhören. Daher Handschlag, „angenehm“, auf Wiedersehen.
Vom weiteren Weg über das verschlafene Ormoz bis zur Grenze ist wenig zu erzählen, es geht flach wie am Morgen weiter, nach Ptuj fahre ich ein paar Kilometer auf dem dem Damm eines Stausee, danach wieder in der Ebene. Die kroatische Grenze überrascht mich. Vor mir nur ein Zettel mit Ortsnamen, die ich durchfahren will, abgelesen von einer Karte, auf der die Grenzde sehr undeutlich markiert ist. Ausweiskontrolle, dann normal auf der Straße weiter. Bald ein erstes Schild mit Fahrradsymbol und Zielangabe „Donja Dubrava 54 km“. Wie praktisch, das passt, genau meine Richtung. Wie sich im Laufe des Tages herausstellt, bedeutet das nicht unbedingt, dass es über einen Radweg geht, aber ich aber werde auf wenig befahrenen, mal mehr oder weniger guten Nebenstraßen zu weiter entfernten Zielen geleitet, ohne allzu oft die Karte auseinander falten zu müssen.
Mit Überschreiten der Grenze, das wird bald immer deutlicher, bin ich wieder in einer anderen Welt. Nicht nur, dass jetzt gar keine Berge oder Hügel mehr zu sehen sind. Es ist ist hier nichts mehr picobello paletti. Slowenien war in gewisser Weise noch EU-Komfortzone. Jetzt bin ich in Slawonien, dem ärmlichen Norden Kroatiens. Schäbige Dörfer, unverputzte Häuser, Schweineställe. Weniger Ölkürbisse, mehr Kartoffel, Mais und vor allem Kraut. Irgendwo wurde frisch geschnitten, ein Geruch von geknicktem welken Kohl weht über die Straße.
Die letzten 2 Stunden rolle ich – nach über 100 km! – mit erstaunlich hoher konstanter Geschwindigkeit durch das brettflache Land. Das Ziel ist jetzt klar mit Donja Dubrava, der Nähe des Zusammenflusses von Drau und Mur, zumal es auch vorher keine Unterkunft mehr geben wird. Irgendwann unterwegs fällt eher beiläufig die 1.000 km-Marke auf dieser Reise. In Prelog versorge ich mich mit Kuna in bar, am ersten Automaten, der mir seit der Grenze unterkommt.
Eine Stunde später in Donja Dubrava. Der Ort trotz dieses spektakulären Namens so uninterressant, dass es fast schon wiedwr interrsant wird. Ebenso das Hotel Golf, das vielleicht auch eine Geschichte wert wäre, wie überhaupt vieles auf dieser Reise, das nur angeschnitten oder überhaupt ganz ausgelassen wurde,.
Aber morgen geht es gleich weiter. Wie genau wissen vielleicht die Krautbauern, ich weiß es nicht. Auf markierte Radwege kann ich kaum mehr hoffen, klare Linien bieten nur die großen Überlandstraßen, die ich wenn es geht meiden will. Sonst sieht die Landkarte rund um die sich schlängelnde Drau aus wie ein unsortierter Haufen mal dicke, mal dünne Spaghetti.
Hier sind alle meine bisherigen Vorbereitungen zu Ende.
Die Zahlen
Tageskilometer Rad: 137
Gesamtkilometer Rad bis heute: 1.054,5
Fahrzeit Rad heute: um die 8 Stunden, zzgl. Pausen
Tag 14 – Die Bilder zum Bericht vom Tage
Tag 13 – Von Vuhred nach Maribor
Dienstag, 23. Juni 2015
Der Plan
Mittags in Maribor die letzten Berge überwunden haben und dann im Flachland durchstarten
Wie es war, was geschah
Vuhred, 8.00 Uhr
Die Kücherin hat mich mit Spiegeleiern versorgt, ich bin wild entschlossen, die nächsten 47 km mit Anstand und nach der Pustertalmethode („man kann immer noch langsamer fahren als man es sich irgendwie vorstellen kann“) hinter mich zu bringen.
Maribor, 13.10 Uhr
Natürlich ist dann wieder alles ganz anders gekommen als gedacht. Und den Frosch, der man nicht sein soll, gebe ich heute mit großem Vergnügen. Mir sind durch die Fügungen des Wetters ein paar Strapazen erspart geblieben, ein freier Tag wurde geschenkt.
Zum dritten Mal in meinem Leben bin ich nun also in Maribor NICHT mit dem Fahrrad eingerollt.
An das erste Mal erinnere ich kaum noch. Es war wohl mehr eine Durchfahrt, auf der Rückreise von der damals noch jugoslawischen Adria bei Split, aus Togrir, auf dem Weg nach Frankfurt, irgendwann in den Siebzigern. Ein guter Freund und ich, waren unterwegs mit einem durchgerosteten R4 mit defektem Fahrersitz und wenig Bremsen. Im Kofferraum, in einer vor Ort gekauften Korbflasche, 30 Liter eines Rotweins, der uns dort unten so gut geschmeckt hatte, und den zu Hause natürlich niemand mehr trinken wollte. Auch das fällt mir heute zu Maribor ein.
Das zweite mal war ich hier im vergangenen Herbst zusammen mit meiner Frau. Wir waren ebenfalls nur auf der Durchreise und machten hier eine längere Fahrpause auf unserer Fahrt von Frankfurt nach Mucsi (sic!), die wir Abstechern an den Wörthersee, nach Ljubljana und eben auch nach Maribor verbunden haben.
Heute nun bin ich mit der Eisenbahn gekommen. Denn kaum habe ich den letzten Punkt hinter die Notiz oben gesetzt und mich vom Frühstückstisch erhoben, setzt – ich habe den Fuß schon auf dem Pedal – der große Regen ein. Ich nehme das anfangs nicht so ernst und rechne mit einer Verzögerung der Abfahrt um ein, zwei Stunden. Nach einer Weile werde ich doch etwas nervös und befrage das www-Orakel. Die Auskunft ist niederschmetternd: Regen am Vormittag, noch mehr Regen am Nachmittag, Regen auch in der ganzen folgenden Nacht. Hier in Vuhred, aber auch in Maribor. Erst morgen soll es anhaltend besser werden.
Was jetzt? Mir ist nicht nach einer Schlammschlacht auf einer Radstrecke, von der ich ohnehin nichts Gutes erwarte, aber noch viel weniger habe ich Lust auf eine weitere Nacht in der Penzion Markac. Und ich bin ohne jedes Bargeld, nachdem ich verpennt habe, mir unterwegs welches zu besorgen, mir Markac eine überaus üppige Rechnung für das Abendessen aufgestellt hat, aber keine Karten akzeptiert. Dumm gelaufen, ich sitze in der Falle. Ein Automat soll im nächsten Dorf in der Richtung sein, aus der ich gestern gekommen bin. Dorthin durch den strömenden Regen, mit Gepäck, ohne Gepäck, zurück, anders weiter?
9.30 Uhr, die Kücherin schaut mit bedauerndem Lächeln und erhobenen Armen an die Decke und überweist mich in die Post um die Ecke. Dort kann ich zwar kein Geld „aufnehmen“, aber mein Hirn meldet sich und teilt mit, dass ich gestern schon seit Dravograd und bis hierher neben, über, unter einer Bahnlinie gefahren bin. Die Postmannschaft sagt zu meiner Erleichterung, dass es einen durchgängigen Zug nach Maribor gibt und recherchiert die nächste Abfahrt im Internet: 9.58 Uhr, noch 20 Minuten, die nächste Bahn geht 5 Stunden später. Ich nehme die Beine in die Hand und sammle in der Pension meine Sachen ein. Jetzt nur in der Hektik nichts vergessen. Die Kücherin malt auf den gleichen länglichen Kellnerblock, auf dem schon die vermaledeite Essensrechnung entstanden ist, ein paar Striche: „ein stras, zwei stras, banhof.“ Minuten später bin ich da, es gibt einen besetzten Fahrkartenschalter, selbstverständlich mit maestro-Symbol, meine allerletzte Sorge bin ich damit also auch los. Der Zug kommt in wenigen Minuten, der Schaffner hilft mir, das Rad mit aufgeschnalltem Gepäck fast einen Meter hoch in den Zug zu wuchten.
Die Bahnreise hinter beschlagenen Fenstern im geheizten Zug durch das enge, tiefgrüne, wie ein Dschungel dampfende Tal der Drau werde ich nicht vergessen. Zum trüben Wetter passend wird mir beinahe etwas sentimental. Schon seit einigen Tagen gehen mir ein paar Zeilen aus einem Ringelnatz-Gedicht, das mich schon an die 20 Jahre begleitet, nicht mehr aus dem Kopf:
„Vorbei – verjährt –
doch nimmer vergessen.
Ich reise.
Alles, was lange währt,
ist leise.“
Das ist natürlich aus dem Kontext gerissen und unterschlägt nicht nur die beiden genialen Anfangszeilen „Ich habe Dich so lieb, ich könnte Dir ohne Bedenken, eine Kachel aus meinem Ofen schenken.“ Aber die Reisezeilen haben mich immer besonders berührt. Sind alle Reisenden entweder sentimental und wenn nicht, dann im Gegenteil euphorisch? Oder kann man beides gleichzeitig sein? Gleich, wer emotionslos reist, soll jedenfalls besser gleich zu Hause bleiben. Und ist es nicht so, dass das Reisen, die Bewegung, die Begegnung, das richtige Leben ist, das Verweilen an einem Ort nutzlos stillstehende Zeit? Die jahrzehntelange Arbeit in immer der gleichen Firma der happige Preis dafür, dass wir uns zeitweise frei und davon machen können? Natürlich ist das nicht die ganze Wahrheit. Man kann auch ohne sich fortzubewegen reisen. Nicht nur im übertragenen Sinne ist auch Schreiben, Komponieren, Malen und manche andere Beschäftigung – darunter das Kochen – eine Reise in unbekannte Gebiete.
Warum nur fällt mir kurz vor Maribor eine Lebensweisheit meines Freundes Lui, dem14.8., aus dem Jahr neunzehnhunderthaumichtot ein: „Gedanken sind die Grimassen der Psyche.“? Um 11.05 Uhr verlasse ich wie frisch gebeichtet und mit Absolution versehen den Zug. Das Hotel Piramida empfängt mich sinnigerweise mit einem Sinnspruch an der Wand hinter dem Rezeptionisten: „The world is a book, those who do not travel read only one page.“ Schon immer habe ich gewusst, dass auch noch in der letzten Plattitüde wenigsten eine Wahrheit steckt.
Den Rest des angebrochenen Tages verprivatisiere ich jetzt entspannt in Maribor. Morgen geht es weiter.
Die Zahlen
Tageskilometer: 0
Gesamtkilometer: 917
Fahrzeit Rad heute: 0
Tag 12 – Von Bleiburg nach Vuhred
Montag, 22. Juni 2015
Der Plan
Über die slowenische Grenze, evtl. bis Maribor
Wie es war, was geschah
Bleiburg, 9.40 Uhr
Das Fahrrad ist in der Werkstatt, in 30 Minuten geht es weiter. Unabhängig von den Speichenrissen hatte die Felge hinten wohl schon länger Risse und wäre wohl früher oder später sowieso kaputt gegangen, also gibt es ein neues Laufrad. Zufallsbefund.
Zu Bleiburg habe ich gerade gelesen, dass es hier zu Kriegsende ziemlich brutale Massaker gab. Reste der kroatischen und anderer Armeen, die mit Nazis kollaboriert hatten, waren von alliierten Truppen auf der einen Seite und von der jugoslawischen Befreiungsarmee (Tito?) auf der anderen Seite eingeschlossen. Mit den Alliierten wurde verhandelt, die Gefangengesetzen in Lager Richtung Osten zu deportieren. Es kam dann aber sofort zu Massenerschießungen, die meisten anderen starben auf anschließenden Todesmärschen, Soldaten und Gefangene vieler Nationen. Ich vermute, dass solche und weitere Ereignisse im Hintergrund ganz wesentlich die Geschehnisse im jüngsten Balkankrieg beeinflusst haben. Die Leute hier haben das im Kopf, wir wissen davon nichts.
Vuhred, 16.45 Uhr
Gegen 12 Uhr diesen Montag zum Ausruhtag erklärt, keine Pause, aber easy going.
Abfahrt in Bleifurt gegen 10.30 Uhr, genau 3.570 Meter nach Verlassen der Werkstatt ist der Hinterreifen platt. Nach kurzem Nachdenken und Zögern ist klar, dass ich selbst ran muss. Zurück müsste ich schieben, um nicht Gefahr zu laufen die neue Felge zu ruinieren und es ist auch nicht sehr wahrscheinlich, dass die Panne etwas mit dem Reifenaustausch von heute früh zu tun hat. Wann in Richtung nach vorne dis nächste Werkstatt kommt ist sowieso unklar.
Ich richte unter der brennenden kärntner Sonne meine plein air-Werkstatt ein und streife die Latex-Handschuhe über. Das eigentlich Lästige ist, dass ich alles Gepäcke herungerschnallen muss und später penibel darauf achten, dass nichts aus den Taschen rollt und vergessen wird. Der Rest ist Routine, nur dass ich das Loch im Schlauch bei einer ersten Sichtung sofort finde, als ich aber mit der erhaltenden Behandlung beginnen will und schon Schmirgelpapier, Kleber und Flicken bereit liegen habe, ist das Loch unauffindbar. Jetzt muss transplatiert werden und ich baue den mitgeführten Ersatzschlauch ein, was ja eigentlich auch schneller geht, aber ich habe jetzt nur noch perforierten Ersatz. Nach 15 Minuten ist alles vorbei, ich packe neu und pumpe mit der kleinen Notpumpe per Hand den reifen notdürftig zum „halbweiche Gurke“-Grad auf. Damit ist der nächste Boxenstopp vorprogrammiert, ich brauche eine richtige Pumpe und außerdem vorsichtshalber einen neuen Ersatzschlauch.
Ich schleiche langsam weiter und interpretiere mal wieder ein Hinweisschild falsch, was mich wunderbare Ausblicke genießen lässt aber auch nochmals eineinhalb Stunden Zeit kostet. Mitten auf der einige hundert Meter langen und ziemlich hohen Jauntal-Eisenbahnbrücke („Fahrradfahren verboten. Fahrrad schieben erlaubt!“) treffe ich auf dem schwindelerregend gewöhnungsbedürftigen Fußgängerstreifen zwei Motorradfahrer, die ihre Maschinen drüben abgestellt haben, um mal herunterzuschauen, in Begleitung von Ötzi von den Enduro Senioren Austria („Dös is unsa Vöein“). Drüben angekommen zeigt der R1 in die Richtung, aus der ich gekommen bin. Es gibt Häuser, eine Station vom Jauntal Bungy, aber alles ist verlassen. Einer der Kradler ruft für mich „den Peter“ an, der „könd si hiö aus“, der weiß aber nicht so genau. „Der Güntö“ geht nichts ran, was nun?
Da will uns ein bayerisches Radfahrpaar mit auf der Lenkradtasche platzierter Karte passieren, ich grätsche rein, bitte um Karteneinsicht und helfe den beiden ungewollt nicht in die Irre zu fahren. Es geht tatsächlich wieder zurück über die gruselige Brücke. Immerhin gibt es spektakuläre Fotos und die beiden sind froh, das ich sie angehalten habe. Wir sind auf Kurs, Ötzi und Co. werden mit Dank verabschiedet. Kurze Zeit später verabschiede ich mich von den Bayern, sie sind etwas langsamer als ich.
In Lavamünd um 13.30 Uhr endlich Luft für die Gurke und ein neuer Schlauch, ich bin wieder auf der Spur und mit allem Nötigen versorgt. Auch der Hinterreifen hat sich eingefahren, die Bremse kreischt nicht mehr wie eine Hyäne. Jetzt könnte man ein paar Stunden noch etwas reißen.
Bald überfahre ich die slowenische Grenze und freue mich über ein großes blaues Schild mit Fahrradsymbol: „D-3. Maribor 71 km“. Nur hat sich jetzt die Landschaft verändert. Die Drau wird weiterhin gestaut, ist aber sehr schmal geworden, sieht wieder aus wie ein richtiger Fluss und nimmt beinahe die ganze Breite des stark verengten Tals ein. Das müssen sich jetzt Haupt- und Nebenstraßen, die Eisenbahn und auch der Radweg teilen. Der wird jetzt auf die schmalen Erschließungwege der höher gelegenen Höfe und Kleindörfer verlagert und schlängelt sich über Rampen von bis zu 18% auf und ab durch das Gelände, über frostbeuligen Asphalt, über Lehm, durch den Wald, über Wiesen. Oft befinde ich mich weit über dem Fluss mit wunderbaren Ausblicken. Aber ich habe den Radweg nicht mehr exklusiv, die Anwohner fahren nach dem Motto „hier kommt doch nie einer“ immer auf der Ideallinie. Es ist klar, hier geh es nur langsam und mühsam vorwärts.
Bei „D-3. Maribor 47 km“ schenke ich um 16.15 Uhr nach kraftzehrenden 52 km der Penzion Markac in Vuhred mein Vertrauen und beschließe morgen zu sehen wie es weitergeht, minimal nach Maribor. Dort sollten aber solcherlei Bergfahrten für diese Tour abgeschlossen sein.
Derweil geht es auf 18.30 Uhr, die „Kücherin“, die für mich als einzigem Gast für diese Zeit einbestellt ist, sitzt sicher schon im Hubschrauber und wird mir „Karte“ kochen. Das Bier der Marke „Union“ läuft schon jetzt gut aus der Flasche.
Morgen soll es regnen, schaumermal.
Die Zahlen
Tageskilometer: 52
Gesamtkilometer: 917
Fahrzeit heute: keine Auskunft