Sonntag, 28. Juni 2015
Der Plan
Von Mohács über Bátaszėk und Bonyhád nach Mucsi, dort Ende der Reise, ca. 70 km
Wie es war, was geschah
8.30 Uhr geht es auf die Fernstraße 56 in Richtung Norden, ich werde mir heute vorkommen wie am 2. Tag der Reise als mich im ostfränkischen Odenwald die Krise packte. 72 km Kilometer kämpfe ich mich nach mehreren Tagesfahrten mit weit über 100 km gegen den teilweise böigen Wind. Und heute spüre ich deutlich, dass es in der vergangenen Woche einer ganztägigen Pause bedurft hätte.
Die 56 ist ordentlich befahren, aber einigermaßen breit. Ich brauche sie auch nur für 28 km bis Bátaszék, danach wird es nach links abgehen auf eine Nebenstrecke nach Bonyhád. Ich fahre am unteren Limit und schiebe auch leichtere Steigungen, will mir heute nicht mehr weh tun, vielleicht auch das endgültige Ende der Radtour ein wenig hinauszögern. Die letzten Kilometer genießen würde ich gerne, aber es ist zu anstrengend, ich arbeite.
Die Querverbindung Bátaszék – Bonyhád über 25 km ist das letzte „schwarze Loch“ der gesamten Tour, es geht zwar über die niedrigste Stelle einer längeren Hügelkette, aber wie niedrig ist heute für mich niedrig? Und wie ist das Streckenprofil? Ich war hier schon früher mit dem Auto, erinnere ich aber nicht und stelle mich auf den worst case ein und auf klagloses gemächliches Schieben. Aber ich habe Glück: fast dreiviertel der Strecke geht es sanft ansteigend einen Bachlauf entlang, parallel läuft eine Bahnlinie, die bisher noch gar nicht kannte. Am Ende geht es nur eine größere Stufe steil hinauf auf eine Art Hochebene, die ich mühelos schiebend erreiche. Dann ist auch das geschafft.
Und von hier ab ist es ein anderer Film. Ich rolle hinunter nach Bonyhád, ab jetzt kenne ich jeden Meter und auf Mucsi zu haben selbst die Schlaglöcher für mich Namen. Links Lidl, Aldi, rechts Tesco, vor mir die Tankstelle, wo unter anderem wir beinahe mehrmals wöchentlich einkaufen und das Auto betanken, quer die Fernstraße 6, links nach Pécs, rechts nach Budapest, dahinter Bonyhád. Dort ist der Cousin unseres eng befreundeten Nachbarn aus Mucsi der Pfarrer. In Fechenheim am Mainufer habe ich vor 18 Tagen alltagsvertrautes Gelände verlassen, jetzt rolle ich wieder mitten hinein. Die Strecke zwischen diesen Örtlichkeiten mit dem Fahrrad zu überbrücken war die Idee dieser Reise. In diesem Augenblick – vielleicht genau dann, als die Ampel auf der 6 rot zeigt und ich anhalten muss, dort wo schon immer der Melonenverkaufsstand ist – ist es geschafft, ich bin angekommen.
Die letzten 45 Minuten sind Zugabe. Ich schleiche über Bonyhádvarasd in Richtung Tevel und lasse es mir nicht nehmen, auch ordentlich flache Anstiege gemächlich zu schieben, nichts treibt mehr. In Tevel – 7 km vor Mucsi – hole ich mir selbstbewusst die ersten Ovationen ab. Dort gibt es eine Schnapsbrennerei mit Obstbau und Weingut, wir kaufen dort regelmäßig Wein im Kanister für den Alltagsverbrauch und gelegentlich auch Trauben um sie selbst zu verkeltern. Wir sind gut mit dem Senior bekannt und ich weiß vom Telefon, dass Henny ihm erzählt hat, dass ich mit dem Fahrrad aus Frankfurt komme. Das große Tor ist offen, ich rolle also auf den Hof, sage „Jó napot“ und lasse mich befragen und beglückwünschen, auch von zufällig anwesenden Gästen aus Bonyhád. Das tut gut.
Auf den letzten Kilometern taufe ich noch ein paar neue Schlaglöcher und rolle dann in Mucsi am Fischweiher vorbei aus, direkt vor das Tor des Anwesens Dózsa-Straße Nr. 29. Dahinter sehe ich quer zur Auffahrt zwischen Kirschbaum und Verandasäulen gespannt eine Wäscheleine mit Schild „Ziel“, verziert mit Weinlaub. Ich darf nicht gleich rein, erst muss sich das Empfangskommittee – Frau und Schwager – links und rechts der Auffahrt positionieren und muss die Schwägerin den Fotoapparat fertig machen, um mich beim Einlauf durch die applaudierende Zielgerade zu knipsen. Hinter der Wäscheleine wartet dann noch ein aus Efeu geflochtener Siegerkranz auf meinen Kopf, von beiden werden alberne Bilder gemacht.
Der angefangene Nachmittag klingt mit unserem nicht zu verachtenden selbstgemachten Muskateller vom Vorjahr aus und geht nahtlos in das frühe Abendessen mit Grillwürstchen über. Geduscht und umgezogen habe ich mich an diesem Tag nicht mehr, bin später mit einer angerissenen Tüte Erdnüsse schlafend im Bett sitzend vorgefunden worden. Wenn ich mir ein symbolisches Bild für das Ende dieser Reise hätte aussuchen dürfen, es wäre genau dieses und kein anderes gewesen.
Zum letzten Mal die Zahlen:
Tageskilometer Rad: 72,2
Fahrzeit netto: 5:16 stunden netto
Gesamtkilometer: 1.490,7
Anmerkung in eigener Sache
In den nächsten Stunden werde ich noch Fotos für die letzten Tage ergänzen. Ansonsten ist mit diesem Tagesbericht die Dokumentation der eigentlichen Reise abgeschlossen. Ich nehme mir aber vor, die Berichte noch einmal zu redigieren, evtl. auch noch einmal zu ergänzen und in einem längeren Dokument außerhalb des Blogs zusammenzufassen. Wenigstens müssen aber viele slowenische und kroatische Ortsnamen die ihnen zustehenden Sonderzeichen erhalten, die ich auf der Android-Tastatur einfach nicht zustande gebracht habe, und entstellende Tippfehler beseitigt werden.
Wenn es mich packt, gehe ich auch noch einmal in eine Nachbetrachtung. Was könnte man Leuten noch mitgeben, die eine ähnliche Tour fahren wollen? Gerne würde ich auch in den Blog noch ein möglichst vollständiges Verzeichnis der Ortschaften, die ich durchfahren habe einstellen, und die Menschen mit oder ohne Namen würdigen, die ich unterwegs getroffen habe und die mir geholfen haben. Mal sehen, ob ich das schaffe und wann.
Und ich fürchte fast, es wird sich eine Frage von selbst in den Vordergrund schieben: was ist das nächste Projekt?