Tag 17 – Osijek – Aljmas – Osijek – Mohács

Samstag, 27. Juni 2015

Der Plan

Von Osijek nach Aljmas an der Mündung der Drau in die Donau, zurück nach Osijek, danach in Richtung ungarische Grenze bei Udvar, wenn möglich durch bis Mohács

Wie es war, was geschah

Heute kann ich einmal einen Teil des Tages ohne Gepäck fahren. Von Osijek sind es an die Mündung der Drau um die 30 Kilometer, die muss ich wieder zurück radeln,  um dann in Richtung Norden gen Ungarn zu radeln und dann dort morgen am frühen Nachmittag die Reise zu beenden.

Die Fahrt nach Aljmas zieht sich länger als gedacht. Es geht durch die Ausläufer von Osijek, Industriegebiete, endlos über eine breite, staubige Straße geradeaus nach Osten, fast bis Erdut, wo es eine Donaubrücke und einen Grenzübergang nach Serbien gibt. Auf dem ersten Stück nimmt die Straße auch noch den Verkehr ins südlich gelegene Vukovar auf. Der Idee nach kommt heute einer der Höhepunkte der Reise: nachdem ich die Quellen der Drau in den Dolomiten gesehen habe und ihr ihren gesamten Verlauf gefolgt bin, will ich heute an der Stelle stehen, an der sie in der Donau aufgeht. Aber das muss ich mir erst in einer anstrengenden, eher freudlosen Anreise über diese Straße hier erkämpfen und – das sei vorweggenommen – mir rückwärts noch einmal antun.

In Aljmas einmal angekommen, ist dann doch alles anders: zum zweiten Mal nach Donauwörth sehe ich die Donau wieder, die immens angewachsen ist. Von einer stattlichen Anhöhe über Aljmas mit wunderbarem Ausblick aus wird auch zum ersten Mal für mich sichtbar, worin das einmalige dieser Donau-Drau-Mur-Nationalparks liegt. Der vielleicht 200 Meter breite Hauptstrom geht weich in die Ufer über, flache Lehm- und Sandbänke, Bäume scheinen direkt im Wasser zu stehen. Und man  sieht, dass es mit dem Fluss verbundene verschachtelte Teiche und Nebenläufe jenseits der Uferlinie gibt. Irgendwie wirkt alles ein wenig wie eine Mangroven-Landschaft, etwas, was mir in dieser Form in Europa noch nie begegnet ist.

Aljmas selbst liegt am Hang der erwähnten Anhöhe zur Donau hin, ist heute verschlafen und ist wohl ohnehin mehr eine Art Wochenendsiedlung, allerdings im Ortskern mit festen größeren Häusern, dazu einigen Restaurants, und eine auffällige, größere, moderne Kirche. Aljmas ist ein bedeutender Marienwallfahrtsort.

Von der Drau weder am Donauufer noch von der Anhöhe aus irgend eine Spur. Laut Karte liegt die Mündung auch ein paar Kilometer nördlich mitten im grünen Dschungel.  Nach einigem Fragen und Suchen finde ich einen schmalen Weg, der über Schotter und blanken Lehm mitten durch den Urwald geht.

Und jetzt meine ich Urwald: links und rechts des Weges oft kein Festland mehr, sondern Wasserflächen, Teiche, die Bäume stehen mitten drin, es ist hell, aber doch schattig, tausend Farbnuancen von grün, braun, beige, gelb, ocker. Alles geht ineinander über, verschwimmt. Auf dem Wasser Blasen, Pflanzenreste, Algen, Schaum. Überraschend die Akustik dieser Auen:  von weit her deutlich und laut Vogelrufe. Es zirpt und quackt. Tiere sind aber nicht zu sehen. Lediglich ein auffällig bunter Frosch, eine Art die ich nie gesehen zu haben meine, lässt sich vom Rad vom Weg scheuchen und hüpft in den Randstreifen. Ich zücke die Kamera und ziele auf die Stelle, zu der er gehüpft ist. Es ist wie verflixt, ich sehe ihn nicht mehr, er ist in dieser Umgebung praktisch unsichtbar. Mehrmals scheuche ich ihn auf, weil ich ihn mit dem Fuß fast berühre, aber ich sehe immer nur eine schnelle Bewegung und an deren Ende zitterndes Gras, aber nie den Frosch. Er ist weg. Ein  wenig langsamer ist eine etwa einen Meter lange, sehr schlanke dunkle, fast schwarze Schlange, aber auch sie ist weg bevor ich die Kamera fertig gemacht habe. Ich bin auch etwas vorsichtig, weil ich eine Ringelnatter ausschließe, aber nicht weiß was es sein könnte. Im Nachhinein vermute ich am ehesten eine dunkle Abart der Äskulapnatter, einer Schlange die ich bei unserem Dorf im südlichen Ungarn überraschend oft antreffe, aber hier kann ich nur raten.

Von dieser Landschaft bin so eingenommen, dass ich eine andere Tierart vollkommen übersehen und ignoriert habe. Aber die meldet sich nun von selbst umso nachdrücklicher: Mücken, Schnaken, Gelsen, Moskitos. Den Viechern ist egal wie ich sie nenne, sie sitzen zu stets zu mehreren Dutzenden auf mir rum und versuchen, auch durch Fahrradhandschuhe, Sweatshirt und Hosenbeine zu stechen.

Nach 20 Minuten lichtet sich der Wald, ich fahre geradewegs auf die Drau zu, die von links in einem sanften Bogen entgegenkommt, die Donau liegt rechts. Jetzt einen Hubschrauber, das wär’s, spektakuläre Bilder von oben wie das unterschiedliche gefärbte Wasser ineinander fließt und ineinander aufgeht. So habe ich das zu Hause auf Satellitenfotos gesehen. Hier sehe ich es nicht. Alles ist flach, das Wasser spiegelt, ich stehe zu tief. Es ist sogar schwierig aus dieser Perspektive den Zusammenfluss so zu fotografieren, dass er auf den Fotos gut zu erkennen ist. Ich steige irgendwo eine kleine Böschung hinaus, aber das nutzt kaum etwas.

Wenigstens bugsiere ich mein Rad über einen wackligen schmalen Steg auf einen schwimmenden Anleger für Boote und inszeniere ein wenig den für die Reise so bedeutsamen Augenblick. Vor Ort wird es aber nie richtig pathetisch feierlich oder euphorisch, das sind allein schon die Mücken davor.  Außerdem muss ich ja noch zurück nach Osijek und danach will möglichst noch ein richtig fettes Stück in Richtung Ungarn fahren, um morgen sicher die Reise endgültig abschließen zu können.

Dennoch nehme ich mir noch ein weitere halbe Stunde und fahre die kleine Siedlung aus einfachen Holzhütten und verbauten Wohnwagen ab, die sich von der Mündung die Drau aufwärts knapp 2 Kilometer das Ufer entlang zieht. Das hat nun endgültig Urwaldflair und Aljmas ist eine zivilisierte Stadt. Ich treffe Angler, Kinder, Angehörige in zerschlissener Camouflage, die wortkarg etwas reparieren und zusammenhämmern, ein Hängebauchschwein frisst mit ein paar Hunden an einem Haufen Abfall herum, auf einem Tisch unter einem einfachen Unterstand steht verlassen das Mittagsmahl der Fischer: eine angebrochene Falsche hausgebrannter Schnaps, dazu leere Gläser. Das ist eine abgeschiedene eigene Welt. Hier könnte es sogar eigene Gesetzte geben. Die Marienwallfahrer in Aljmas werden keine Ahnung haben.

Ich lasse mich noch von einer freundlichen jungen Frau, die zum Wochenende hier ist, wie wir mit Händen und Füßen und dem universellen Begriff „weekend“ herausbringen, mit der Drau, mit der Donau und der Drau und der Donau sowie natürlich immer mit dem Rad ablichten. Auf die Mücken angesprochen – ich summe mit dem Finger in die Luft und zwicke mich dann in den Arm – wedelt sie mit der Hand und sagt: „ujuijuijuijui“.

Es ist Zeit, es ist heiß, hier ist für den Moment nichts mehr zu tun. Ich gurke zurück über die ratterige Piste durch den Wald nach Aljmas und mache mich auf den Rückweg nach Osijek, der mir trotz gleicher Entfernung etwas kürzer vorkommt. Da sind schon 65 km auf dem Tacho für heute.

Im Hotel Drava, wo ich mein Gepäck zurückgelassen hatte, trinke ich noch einen Kaffee und plaudere kurz mit der Rezeptionistin, der ich am Morgen die Adresse meines Blogs gegeben hatte. Außerdem feiert die kleine Mia mit großer Verwandtschaft ihren vierten Geburtstag, ich singe „Happy birthday, liebe Mia“ und darf den rosa Roller, einen rosa Ball, einen rosa Luftballon, die rosa Spielekiste und das aufblasbare rosa Minischwimmbecken bewundern. Der Papa googlet mir das Wetter und ich überquere gegen 14.30 Uhr auf einer schneeweißen Fußgängerbrücke in Osijek zum letzten Mal die Drau in Richtung Norden.

Über Beli Manastir und Udvar schlage ich mich über weitere 60 km ganz durch über die Grenze bis Mohács, bin fix und alle, aber auch zufrieden und beruhigt. Morgen wird es definitiv vorbei sein.

Abends noch ein Spaziergang durch das beschauliche, verschlafene Mohács, eine Stadt, die ohnehin nur an ein paar Tagen im Jahr für einen weithin bekannten archaischen Maskenkarneval erwacht. Und ansonsten hauptsächlich den Namen hergibt für die so folgenreiche „Schlacht bei Mohács“ im Jahr 1526. Hätten die Osmanen damals nicht die ungarisch-kroatischen Truppen unter Führung des 20-jährigen dem König Ludwig, der auf der Flucht vom Pferd fiel und verstarb, vernichtend geschlagen, wären „die Türken“ 160 Jahre später nicht schon wieder vor Wien gestanden. Und Prinz Eugen wäre eher eine Randfigur der Geschichte geblieben.

Für die Ungarn steht Mohács jedenfalls für DAS nationale Trauma,  als Synonym für den Beginn einer in der ungarischen Geschichtsschreibung und im kollektiven Bewusstseins als verhängnisvoll und erniedrigend empfundenen 160-jährigen Besatzung durch das osmanische Reich. Objektive Geschichtsschreibung ist aber nicht so ganz die Sache dieser Nation. Die Osmanen bauten für sich durchaus Moscheen, gewährten aber auch Religionsfreiheit. Jenseits der Eroberungskriege war der Alltag im Land weitgehend friedlich geregelt, sofern die Abgaben korrekt entrichtet wurden. Böse Zungen behaupten sogar, dass dieser 160-jährgen osmanischen Besatzung weniger Ungarn zum Opfer fielen als der österreichischen Geheimpolizei in der langen Zeit der Koexistenz der ungarischen und der österreichischen Monarchien und insbesondere den verschiedenen gegen Wien gerichteten Aufständen, einschließlich der  1848-er Erhebung.

Wie auch immer, die Gedenkstätte an die 1628er Schlacht in der Nähe von Mohács ist ein nationales ungarisches Heiligtum und darüber hinaus beeindruckend gestaltet. Dramaturgie und Inszenierung können sie ja ziemlich gut, meine ungarischen Achtelbrüder. Nicht uninteressant vielleicht noch zu erwähnen, dass es noch eine ganze Reihe weiterer Gedenkstätten an die osmanische Zeit  in Ungarn gibt und diese teilweise von der türkischen Regierung mitfinanziert wurden. Die meisten Schrifttafeln sind zweisprachig in ungarisch und türkisch gehalten. Und nicht nur ein osmanischer Sultan liegt noch heute in Ungarn zur letzten Ruhe.

Wenn es auch heute für mich auf dieser Reise überhaupt keine Rolle spielt, so musste dies doch wenigstens kurz angerissen werden. Mohács ist Mohács. Unter anderem gibt es deswegen hier überhaupt ein paar Hotels. Nach einer sehr mäßigen Pizza falle ich im Hotel Pannon nach diesem anstrengenden Tag sofort in einen Tiefschlaf, fast wie in eine Narkose.

Die Zahlen

Tageskilometer Rad: 122,9 (in zwei Teilen)
Fahrzeit netto: 7:41 Stunden
Gesamtkilometer: 1.418,5