Freitag, 26. Juni 2015
Der Plan
Auf geradem Weg in Richtung Osijek und möglichst heute noch dort ankommen.
Wie es war, was geschah
Osijek hat Straßenbahn. Als ich um 15.55 Uhr am Stadtrand auf eine an der Endhaltestelle wartende Tram treffe und Schienen sehe, kommt nach drei Tagen Fahrt durch verschlafene slawonische Kleinstädte und Dörfer der Wiedereintritt in die Zivilisation unerwartet und überraschend. Kurz vor der Innenstadt kann ich durch ein Parkgelände an die Drau fahren, von hier über eine Art Promenade , einen Bootshafen und schon bin ich im Zentrum. Dort wird auf einem Platz eine große Bühne hergerichtet, es gibt Stände mit slawonischer Wurst und Gepäck, Frauen in Tracht, einen Fiaker. Ein Radio- oder Fernsehteam interviewt mitten unter den Menschen den Chefkoch des Hotel Osijek und ein wenig auch sich gegenseitig. Bei der Suche nach einem Hotel durchfahre ich ein paar sehr schöne Straßen. KuK-Jugendstil, wie ich das aus Budapest, Pecs, Kecskemét und auch Prag kenne, nur alles etwas niedriger. Die größte Überraschung ist aber der beinahe urbane Flair und wie elegant die Leute herausgeputzt sind. In einer „American Bar“ gibt es einen Innenhof mit unverputzten Wänden, Wäsche an Leinen, fensterlose Fenster irgendwo oben. Eine der Rezeptionistinnen im Hotel Drava, in dem ich dann wohne, kennt den Laden – er ist neu – und findet ihn furchtbar, wie sie auch gerade das Urbane an Osijek nun gerade gar nicht leiden kann. Sie spricht ein sehr differenziertes amerikanisches Englisch, so dass man einmal wirklich etwas genauer nachfragen und sich verständigen kann. Sie ist am Wochenende lieber in ihrem Dorf irgendwo auf dem slawonischen Land und überhaupt seien die Leute hier heute nur so aufgebretzelt, weil Freitag Abend ist. Ich bin aber einfach spontan von der Stadt eingenommen und vom Flair dieses Abends im Freien und schreibe übermütige SMS an Gott und die Welt wie toll es hier ist. Das Konzert auf der Bühne erlebe ich nicht mehr, völlig übermüdet schleiche ich auf mein Zimmer und verschlafe auch das Frauen-Viertelfinle bei laufendem Fernseher gegen Frankreich. Rechtzeitig zum Ausgleichstor und dann wieder zum Elfmeterschießen gehen mir die Augen auf.
Gekommen bin ich 124 km über die Landstraße und dabei beinahe ohne Pause durchgefahren. Nach der Erfahrung bei der Hotelsuche in Virovitica wollte ich unter allen Umständen versuchen, in Osijek anzukommen. Die Hotelportale im www verzeichnen dort Unterkünfte ohne Ende, da kann kaum was schief gehen, und so war es dann auch.
Frühstück gab es am Morgen noch in der großen Wohnküche der Familie der Villa Magnolija, eine Riesenwahl Wurst und Käse, dazu Weißbrotstangen, aufgestapelt wie ein Haufen Brennholzscheite im Wald. Mit dem Hausherren schaue ich auf die Karte und beschließe keinerlei Kompromisse an Radwege oder verspielte Nebenstraßen zu machen.
Auf einen Zettel für die Rahmentasche notierte ich die Durchgangsorte meiner Strecke: Borova – Suhopolje – Oresac – Novaki – Vaska – Skopje – Noskovc – Cadavica – Moslavina P. – Donij Miholjac – Belisce – Alpovo – Osijek. Die ersten 30 km Ort für Ort, später nur noch die größeren Ansiedlungen. Irgendwo bei Moslavina treffe ich ohnehin auf eine mit der Nr. 34 gekennzeichnete größere Verbindungsstraße, dort gibt es wie erwartet eine Ausschilderung auch über größere Entfernung und auch Kilometerangaben.
Auf der Nebenstrecke am Anfang habe ich für fast 2 Stunden die bestens ausgebaute Straße für mich alleine. Kilometer vor und hinter mir keine Auto. Der einzige Schrecken der Landstraße ist ein alter mongolischer Traktor, der es nur langsam an mir vorbei schafft. Nach Erreichen der Straße 34 wird es voller, aber es bleibt erträglich. Ich stelle mich auf den Verkehr ein und habe stets eine Ausweichmöglichkeit nach rechts im Auge, für Situationen, in denen ich neben zwei Lastwagen bin, die in Gegenrichtung aneinander vorbeifahren. Erst die letzten etwa 20 Kilometer nach Osijek herein werden richtig unangenehm, da rauscht es nur so um mich her.
Das geht aber schnell vorbei und dann kommt die bereits geschilderte Einfahrt in die Stadt.
Kurz will ich erklären warum ich mir das antue: am 16. Tag der Reise überkommt mich das Gefühl, dass ich es jetzt zügig hinter mich bringen will. Noch die Draumündung und dann ab nach Mucsi und Schluss. Hier in der Ebene bin ich es plötzlich müde, allein zu sein und alleine zu fahren. Ein bisschen Gesellschaft wäre langsam ganz gut und das nicht nur, um abwechselnd im Windschatten fahren zu können. So richtig zieht es mich in den Stall als ich im Norden jenseits der Auwälder weit in der Ferne die beiden höchsten Erhebungen des Mecsek-Gebirges in Ungarn sehe, den Tettye und den Zengö, darunter, noch näher an mir, liegt Pėcs. Auf dem Tettye kann man sogar den Fernsehturm sehen. Kurz danach noch der unverwechselbare Villanyer Berg, auf dem die Reben für die teuersten ungarischen Rotweine stehen. Etwa 50 km hinter jener Kulisse liegt Mucsi und da will ich dann nun auch bald ankommen. Meine jetzige Route Route ist diesbezüglich ein großer Umweg.
Zu dieser Stimmung passend meldet sich zum ersten Mal auf dieser Reise mein Körper bei seinem Kopf: „Wenn Du da oben nicht mehr willst, kannst Du bitte schön mit mir auch nicht mehr rechnen.“ Abends habe ich plötzlich „Hintern“ und einen Krampf im Oberschenkel.
Zudem sehe ich die Drau seit Donja Dubrava nur noch sehr selten. In den letzten 24 Stunden genau 2 Mal: jeweils abends in Barcs und Osijek, von Brücken aus. Dazwischen lässt sie niemanden mehr an sich ran. Seit Donja Dubrava hat es ein Ende mit dem Stauen und der Regulierung der Flussufer. In den Nationalparks Mur-Drau, Drau-Donau darf sie machen was sie will und bildet endlose Mäander, Auwälder, Nebenarme und sumpfige Schwemmländer, die letzten gänzlich unberührten Flusslandschaften im westlichen Europa. In diesem Streifen Wildnis gibt es aber keine Dörfer und Straßen, nur unbefestigte Stichwege fuhren hinein und die liegen natürlich quer zu meiner Hauptroute und sind Sackgassen. Einen vernünftigen Kompromiss gibt es nicht. Wer in diesen Abschnitten die Drau sehen will, muss eigens dafür an geeigneten Stellen Quartier nehmen und losziehen. Das passt jetzt einfach nicht in meinen Reiseplan, was mir aber kein Problem ist, da ich von Mucsi aus jederzeit in wenigen Stunden herkommen kann. Wer diese Möglichkeit nicht hat, sollte Aufenthalte für den Besuch der Auwälder einplanen und am besten auch zu Hause mit Literatur vorbereiten. Ich kann mir auch vorstellen, dass es geführte Touren gibt. Spontan und an beliebiger Stelle irgendwo an der Drau loslaufen würde ich nicht unbedingt.
So gesehen ist es ein reiner Arbeitstag auf dem Rad, da muss man jetzt halt durch. Das bedeutet aber nicht, dass ich schlechte Laune hätte, man kann auch vergnügt arbeiten. Und es gibt immer was zu schmunzeln: bei einer Kaffeepause in Valpovo dröht aus dem Lokal laute Blues-Musik. Ich bin der einzelne Gast und sitze draußen. Bei der Bestellung signalisiere ich der Bedienung mit Daumen nach oben, dass ich die Musik super finde. Er freut sich, dass ich das überhaupt wahrnehme und mit dem altmodischen Gitarrenkram was anfangen kann. Ich frage „Eric Clapton?“ und denke an neuere Aufnahmen oder ein Remake, es ist in irgendwie 70er-mäßig, klingt aber frischer. Aber es ist original Fleetwood Mac aus dieser Zeit, ein Album, das ich nicht kenne. „Oh, then the guitar player is Peter Green“. Jetzt hebt er den Daumen und der Cappucino geht auf seine Rechnung.
Die Zahlen
Tageskilometer Rad: 124,3
Fahrzeit netto: 6:40 Stunden, wenig Pausen
Gesamtkilometer: 1.298,6