Freitag, 12. Juni 2015
Der Plan
Von Amorbach nach Walldürn mit der Bahn, um Steigungen und ein paar Kilometer zu sparen. Von dort kalkulierte 75 Kilometer mit dem Rad quer über den westfränkischen Odenwald nach Blaufelden.
Wie es war, was geschah
Die Radetappe zum Vergessen, ein richtiger Sch…tag. Der Abend zum Schwärmen und Erinnern.
Hans H. zeigt am Morgen nach dem Frühstück seine beeindruckende Kunstsammlung nebst eingebundenen eigenen Werken. Danach Autoführung mit mir als nachfolgendem Radfahrer in Amorbach. Ende am Bahnhof, der um 9.20 Uhr schon unter einer schwülwarmen Sonne liegt. Klamotten runter hilft kaum, ich fühle mich schon jetzt gesotten.
Das letzte Planmäßige an diesem Tag ist die Fahrt mit der Westfrankenbahn hinauf nach Walldürn. Dort unklare Wegweisungen, Baustellen, Umleitungen. Einen ausgewiesenen Radweg verschmähe ich zugunsten einer vermeintlich schnelleren Linie über die Autostraße, die aber die falsche ist und in eine völlig falsche Richtung führt. Zwei nachfolgende Kurskorrekturen gehen ebenfalls in die Hose bzw. in die Beine und aufs Gemüt. Vor allem geht es von Dorf zu Dorf über beachtlich hohe und langgezogene Buckel, nirgends Schilder in die Richtung, in die ich eigentlich will. Einige flotte Abfahrten mache ich auf gleichem Weg bergauf wieder rückgängig, anfangs noch stoisch, später zunehmend zerknittert. In Erfeld und Buch bin ich zurück auf dem vorgesehen Kurs, von den 30 Kilometern auf dem Tacho sind aber 20 Irrfahrt, faktisch habe ich seit Walldürn kein Land gewonnen, lediglich in desolaten Zwergortschaften greise Landwirte nach dem Weg gefragt, wenn denn überhaupt jemand anzutreffen war. In Buch immerhin der Durchbruch: Ein Mitarbeiter einer Autowerkstatt hat den totalen Durchblick und rät zu einer Route, die jetzt und ab sofort einen Bach entlang praktisch immer bergab nach Königshofen an die Tauber führt. Unten angekommen bin ich völlig ausgelaugt und kann und will nicht mehr. Auch weil ich weiß, dass es von hier eine direkte Bahnverbindung nach Blaufelden gibt.
Um nicht bei Kilometer 60 den Tag zu beschließen fahre ich noch ein Stück die Tauber flussauf. Kurz vor Bad Mergentheim wird eine Schale warme ungewaschene Erdbeeren mein spätes Mittagessen. Neben dem Spargelstand an der tosenden Bundesstraße der gepolsterte Sessel eines 88-jährigen Nachbarn. „Ich wohne hier, das ist meine Unterhaltung. Was meinen Sie, wie alt ich bin?“
Ab Mergentheim, wo ich dann nach kurzem Rundgang und einer kalten Cola in die Bahn steige, von der ich schon bei km 50 träumte, zockelt der Zug 45 Minuten nach Blaufelden. Unterwegs nette Gespräche mit anderen Radlern, u.a. einem Rennrad, der mir E-Bike mobbend ein paar Perspektiven und Tipps für morgen mit auf den Weg gibt, wenngleich er auch keinen Plan für die Strecke von Ellwangen nach Nördlingen hat. Lasset uns beten, dass es morgen auf der Hohenhoher Ebene anders zugeht als im westfränkischen Odenwald heute Vormittag.
Mit Ankunft in Blaufelden dann der völlig andere, zweite Teil des Tages. Der vorgebuchte Gasthof Hirsch hat sich in den 30 Jahren, die ich nicht hier war, kaum verändert. Helle offene Gasträume und die einsehbare riesige Küche im Erdgeschoss. Der Hausherr und Koch, Manfred Kurz, putzt in meditativer Ruhe Pfifferlinge.
Mein Fahrrad kommt in einem ehemaligen Kühlraum unter. Zimmer 7 ist im 2. Stock, der Weg hinauf die letzte Erinnerung an die Quälerei vom Vormittag. Gepäck und Apfelschorle wiegen schwer, die Dusche baut auf. Auspacken, Geräte laden gemäß mitgebrachtem Merkzettel, was bei Hotelankunft nicht zu vergessen ist. Das Hemd vom Tage ist dran und wird handgewaschen.
Telefonat und ich-lebe-noch-Meldung bei der Ehefrau. Ich erfahre, dass die Fußballerinnen gegen Norwegen nur unentschieden gespielt haben. An Fernsehen war gestern nicht mehr zu denken, „too much Rosé“.
Dann werfe ich staunende Blicke auf die Speisekarte: ich wusste, dass hier gut gekocht wird, hatte aber nicht wirklich mit Austern, Bries, bretonischem Steinbutt und einem ausgewachsenen Feinschmeckermenü gerechnet. Ich nehme das Kalbsbries mit Spargel und Morcheln, dazu einen nicht mehr ganz jungen fränkischen Silvaner. Alles perfekt, aber schnörkellos, kein Schnickschnack, nur der Geschmack von Bries, einer wunderbaren Panade, von Morcheln, Spargel, einer guten Brühe, von Butter und Sahne. Dass die Morcheln so authentisch waren, dass sie noch ein wenig Sand aus der Heimat mitbrachten, war mir völlig gleich, man hätte satt sein müssen von diesem Teller. Aber ich hatte ja noch den Ochsenschwanz, Kron und Gemüse. Perfekte klassische Küche, die Rotweinsauce zum Ochsenschwanz samtig glänzend eingekocht kurz vor Gelee, vollkommen rund, dunkelbraun. Das (der, die?) Kron rosa kurzgebraten, in Streifen geschnitten, mit grobem Salz bestreut und mit bestem Olivenöl begossen. Ich bin verblüfft, das die Kombination mediterran mit klassischer Sauce so gut harmoniert und grunze als ich ganz zum Schluss mit dem letzten Schluck Badener Spätburgunder mit dem Saucenlöffel noch eine einsame Wacholderbeere vom Teller kratzen und zerkauen darf.
Nachtisch ist gänzlich unmöglich, mit einer Apfelschorle verziehe ich mich gegen 22 Uhr in die Kemenate. Feierabend.
Die Zahlen
Tageskilometer: 69,25 km
Gesamtkilometer: 168,92 km
Fahrzeit heute: will ich gar nicht wissen….