Tag 18 – Von Mohács nach Mucsi

Sonntag, 28. Juni 2015

Der Plan

Von Mohács über Bátaszėk und Bonyhád nach Mucsi, dort Ende der Reise, ca. 70 km

Wie es war, was geschah

8.30 Uhr geht es auf die Fernstraße 56 in Richtung Norden, ich werde mir heute vorkommen wie am 2. Tag der Reise als mich im ostfränkischen Odenwald die Krise packte. 72 km Kilometer kämpfe ich mich nach mehreren Tagesfahrten mit weit über 100 km gegen den teilweise böigen Wind. Und heute spüre ich deutlich, dass es in der vergangenen Woche einer ganztägigen Pause bedurft hätte.

Die 56 ist ordentlich befahren, aber einigermaßen breit. Ich brauche sie auch nur für 28 km bis Bátaszék, danach wird es nach links abgehen auf eine Nebenstrecke nach Bonyhád. Ich fahre am unteren Limit und schiebe auch leichtere Steigungen, will mir heute nicht mehr weh tun, vielleicht auch das endgültige Ende der Radtour ein wenig hinauszögern. Die letzten Kilometer genießen würde ich gerne, aber es ist zu anstrengend, ich arbeite.

Die Querverbindung Bátaszék – Bonyhád über 25 km ist das letzte „schwarze Loch“ der gesamten Tour, es geht zwar über die niedrigste Stelle einer längeren Hügelkette, aber wie niedrig ist heute für mich niedrig? Und wie ist das Streckenprofil? Ich war hier schon früher mit dem Auto, erinnere ich aber nicht und stelle mich auf den worst case ein und auf klagloses gemächliches Schieben. Aber ich habe Glück: fast dreiviertel der Strecke geht es sanft ansteigend einen Bachlauf entlang, parallel läuft eine Bahnlinie, die bisher noch gar nicht kannte.  Am Ende geht es nur eine größere Stufe steil hinauf auf eine Art Hochebene, die ich mühelos schiebend erreiche. Dann ist auch das geschafft.

Und von hier ab ist es ein anderer Film. Ich rolle hinunter nach Bonyhád, ab jetzt kenne ich jeden Meter und auf Mucsi zu haben selbst die Schlaglöcher für mich Namen. Links Lidl, Aldi, rechts Tesco, vor mir die Tankstelle, wo unter anderem wir beinahe mehrmals wöchentlich einkaufen und das Auto betanken, quer die Fernstraße 6, links nach Pécs, rechts nach Budapest, dahinter Bonyhád. Dort ist der Cousin unseres eng befreundeten Nachbarn aus Mucsi der Pfarrer. In Fechenheim am Mainufer habe ich vor 18 Tagen alltagsvertrautes Gelände verlassen, jetzt rolle ich wieder mitten hinein. Die Strecke zwischen diesen Örtlichkeiten mit dem Fahrrad zu überbrücken war die Idee dieser Reise. In diesem Augenblick – vielleicht genau dann, als die Ampel auf der 6 rot zeigt und ich anhalten muss, dort wo schon immer der  Melonenverkaufsstand ist – ist es geschafft, ich bin angekommen.

Die letzten 45 Minuten sind Zugabe. Ich schleiche über Bonyhádvarasd in Richtung Tevel und lasse es mir nicht nehmen, auch ordentlich flache Anstiege gemächlich zu schieben, nichts treibt mehr. In Tevel  – 7 km vor Mucsi – hole ich mir selbstbewusst die ersten Ovationen ab. Dort gibt es eine Schnapsbrennerei mit Obstbau und Weingut, wir kaufen dort regelmäßig Wein im Kanister für den Alltagsverbrauch und gelegentlich auch Trauben um sie selbst zu verkeltern. Wir sind gut mit dem Senior bekannt und ich weiß vom Telefon, dass Henny ihm erzählt hat, dass ich mit dem Fahrrad aus Frankfurt komme. Das große Tor ist offen, ich rolle also auf den Hof, sage „Jó napot“ und lasse mich befragen und beglückwünschen, auch von zufällig anwesenden Gästen aus Bonyhád. Das tut gut.

Auf den letzten Kilometern taufe ich noch ein paar neue Schlaglöcher und rolle dann in Mucsi am Fischweiher vorbei aus, direkt vor das Tor des Anwesens Dózsa-Straße Nr. 29. Dahinter sehe ich quer zur Auffahrt zwischen Kirschbaum und Verandasäulen gespannt eine Wäscheleine mit Schild „Ziel“, verziert mit Weinlaub. Ich darf nicht gleich rein, erst muss sich das Empfangskommittee – Frau und Schwager – links und rechts der Auffahrt positionieren und muss die Schwägerin den Fotoapparat fertig machen, um mich beim Einlauf durch die applaudierende Zielgerade zu knipsen. Hinter der Wäscheleine wartet dann noch ein aus Efeu geflochtener Siegerkranz auf meinen Kopf, von beiden werden alberne Bilder gemacht.

Der angefangene Nachmittag klingt mit unserem nicht zu verachtenden selbstgemachten Muskateller vom Vorjahr aus und geht nahtlos in das frühe Abendessen mit Grillwürstchen über. Geduscht und umgezogen habe ich mich an diesem Tag nicht mehr, bin später mit einer angerissenen Tüte Erdnüsse schlafend im Bett sitzend vorgefunden worden. Wenn ich mir ein symbolisches Bild für das Ende dieser Reise hätte aussuchen dürfen, es wäre genau dieses und kein anderes gewesen.

Zum letzten Mal die Zahlen:

Tageskilometer Rad: 72,2
Fahrzeit netto: 5:16 stunden netto
Gesamtkilometer: 1.490,7

Anmerkung in eigener Sache

In den nächsten Stunden werde ich noch Fotos für die letzten Tage ergänzen. Ansonsten ist mit diesem Tagesbericht die Dokumentation der eigentlichen Reise abgeschlossen. Ich nehme mir aber vor, die Berichte noch einmal zu redigieren, evtl.  auch noch einmal zu ergänzen und in einem längeren Dokument außerhalb des Blogs zusammenzufassen. Wenigstens müssen aber viele slowenische und kroatische Ortsnamen die ihnen zustehenden Sonderzeichen erhalten, die ich auf der Android-Tastatur einfach nicht zustande gebracht habe, und entstellende Tippfehler beseitigt werden.

Wenn es mich packt, gehe ich auch noch einmal in eine Nachbetrachtung. Was könnte man Leuten noch mitgeben, die eine ähnliche Tour fahren wollen? Gerne würde ich auch in den Blog noch ein möglichst vollständiges Verzeichnis der Ortschaften, die ich durchfahren habe einstellen, und die Menschen mit oder ohne Namen würdigen, die ich unterwegs getroffen habe und die mir geholfen haben. Mal sehen, ob ich das schaffe und wann.

Und ich fürchte fast, es wird sich eine Frage von selbst in den Vordergrund schieben: was ist das nächste Projekt?

Tag 17 – Osijek – Aljmas – Osijek – Mohács

Samstag, 27. Juni 2015

Der Plan

Von Osijek nach Aljmas an der Mündung der Drau in die Donau, zurück nach Osijek, danach in Richtung ungarische Grenze bei Udvar, wenn möglich durch bis Mohács

Wie es war, was geschah

Heute kann ich einmal einen Teil des Tages ohne Gepäck fahren. Von Osijek sind es an die Mündung der Drau um die 30 Kilometer, die muss ich wieder zurück radeln,  um dann in Richtung Norden gen Ungarn zu radeln und dann dort morgen am frühen Nachmittag die Reise zu beenden.

Die Fahrt nach Aljmas zieht sich länger als gedacht. Es geht durch die Ausläufer von Osijek, Industriegebiete, endlos über eine breite, staubige Straße geradeaus nach Osten, fast bis Erdut, wo es eine Donaubrücke und einen Grenzübergang nach Serbien gibt. Auf dem ersten Stück nimmt die Straße auch noch den Verkehr ins südlich gelegene Vukovar auf. Der Idee nach kommt heute einer der Höhepunkte der Reise: nachdem ich die Quellen der Drau in den Dolomiten gesehen habe und ihr ihren gesamten Verlauf gefolgt bin, will ich heute an der Stelle stehen, an der sie in der Donau aufgeht. Aber das muss ich mir erst in einer anstrengenden, eher freudlosen Anreise über diese Straße hier erkämpfen und – das sei vorweggenommen – mir rückwärts noch einmal antun.

In Aljmas einmal angekommen, ist dann doch alles anders: zum zweiten Mal nach Donauwörth sehe ich die Donau wieder, die immens angewachsen ist. Von einer stattlichen Anhöhe über Aljmas mit wunderbarem Ausblick aus wird auch zum ersten Mal für mich sichtbar, worin das einmalige dieser Donau-Drau-Mur-Nationalparks liegt. Der vielleicht 200 Meter breite Hauptstrom geht weich in die Ufer über, flache Lehm- und Sandbänke, Bäume scheinen direkt im Wasser zu stehen. Und man  sieht, dass es mit dem Fluss verbundene verschachtelte Teiche und Nebenläufe jenseits der Uferlinie gibt. Irgendwie wirkt alles ein wenig wie eine Mangroven-Landschaft, etwas, was mir in dieser Form in Europa noch nie begegnet ist.

Aljmas selbst liegt am Hang der erwähnten Anhöhe zur Donau hin, ist heute verschlafen und ist wohl ohnehin mehr eine Art Wochenendsiedlung, allerdings im Ortskern mit festen größeren Häusern, dazu einigen Restaurants, und eine auffällige, größere, moderne Kirche. Aljmas ist ein bedeutender Marienwallfahrtsort.

Von der Drau weder am Donauufer noch von der Anhöhe aus irgend eine Spur. Laut Karte liegt die Mündung auch ein paar Kilometer nördlich mitten im grünen Dschungel.  Nach einigem Fragen und Suchen finde ich einen schmalen Weg, der über Schotter und blanken Lehm mitten durch den Urwald geht.

Und jetzt meine ich Urwald: links und rechts des Weges oft kein Festland mehr, sondern Wasserflächen, Teiche, die Bäume stehen mitten drin, es ist hell, aber doch schattig, tausend Farbnuancen von grün, braun, beige, gelb, ocker. Alles geht ineinander über, verschwimmt. Auf dem Wasser Blasen, Pflanzenreste, Algen, Schaum. Überraschend die Akustik dieser Auen:  von weit her deutlich und laut Vogelrufe. Es zirpt und quackt. Tiere sind aber nicht zu sehen. Lediglich ein auffällig bunter Frosch, eine Art die ich nie gesehen zu haben meine, lässt sich vom Rad vom Weg scheuchen und hüpft in den Randstreifen. Ich zücke die Kamera und ziele auf die Stelle, zu der er gehüpft ist. Es ist wie verflixt, ich sehe ihn nicht mehr, er ist in dieser Umgebung praktisch unsichtbar. Mehrmals scheuche ich ihn auf, weil ich ihn mit dem Fuß fast berühre, aber ich sehe immer nur eine schnelle Bewegung und an deren Ende zitterndes Gras, aber nie den Frosch. Er ist weg. Ein  wenig langsamer ist eine etwa einen Meter lange, sehr schlanke dunkle, fast schwarze Schlange, aber auch sie ist weg bevor ich die Kamera fertig gemacht habe. Ich bin auch etwas vorsichtig, weil ich eine Ringelnatter ausschließe, aber nicht weiß was es sein könnte. Im Nachhinein vermute ich am ehesten eine dunkle Abart der Äskulapnatter, einer Schlange die ich bei unserem Dorf im südlichen Ungarn überraschend oft antreffe, aber hier kann ich nur raten.

Von dieser Landschaft bin so eingenommen, dass ich eine andere Tierart vollkommen übersehen und ignoriert habe. Aber die meldet sich nun von selbst umso nachdrücklicher: Mücken, Schnaken, Gelsen, Moskitos. Den Viechern ist egal wie ich sie nenne, sie sitzen zu stets zu mehreren Dutzenden auf mir rum und versuchen, auch durch Fahrradhandschuhe, Sweatshirt und Hosenbeine zu stechen.

Nach 20 Minuten lichtet sich der Wald, ich fahre geradewegs auf die Drau zu, die von links in einem sanften Bogen entgegenkommt, die Donau liegt rechts. Jetzt einen Hubschrauber, das wär’s, spektakuläre Bilder von oben wie das unterschiedliche gefärbte Wasser ineinander fließt und ineinander aufgeht. So habe ich das zu Hause auf Satellitenfotos gesehen. Hier sehe ich es nicht. Alles ist flach, das Wasser spiegelt, ich stehe zu tief. Es ist sogar schwierig aus dieser Perspektive den Zusammenfluss so zu fotografieren, dass er auf den Fotos gut zu erkennen ist. Ich steige irgendwo eine kleine Böschung hinaus, aber das nutzt kaum etwas.

Wenigstens bugsiere ich mein Rad über einen wackligen schmalen Steg auf einen schwimmenden Anleger für Boote und inszeniere ein wenig den für die Reise so bedeutsamen Augenblick. Vor Ort wird es aber nie richtig pathetisch feierlich oder euphorisch, das sind allein schon die Mücken davor.  Außerdem muss ich ja noch zurück nach Osijek und danach will möglichst noch ein richtig fettes Stück in Richtung Ungarn fahren, um morgen sicher die Reise endgültig abschließen zu können.

Dennoch nehme ich mir noch ein weitere halbe Stunde und fahre die kleine Siedlung aus einfachen Holzhütten und verbauten Wohnwagen ab, die sich von der Mündung die Drau aufwärts knapp 2 Kilometer das Ufer entlang zieht. Das hat nun endgültig Urwaldflair und Aljmas ist eine zivilisierte Stadt. Ich treffe Angler, Kinder, Angehörige in zerschlissener Camouflage, die wortkarg etwas reparieren und zusammenhämmern, ein Hängebauchschwein frisst mit ein paar Hunden an einem Haufen Abfall herum, auf einem Tisch unter einem einfachen Unterstand steht verlassen das Mittagsmahl der Fischer: eine angebrochene Falsche hausgebrannter Schnaps, dazu leere Gläser. Das ist eine abgeschiedene eigene Welt. Hier könnte es sogar eigene Gesetzte geben. Die Marienwallfahrer in Aljmas werden keine Ahnung haben.

Ich lasse mich noch von einer freundlichen jungen Frau, die zum Wochenende hier ist, wie wir mit Händen und Füßen und dem universellen Begriff „weekend“ herausbringen, mit der Drau, mit der Donau und der Drau und der Donau sowie natürlich immer mit dem Rad ablichten. Auf die Mücken angesprochen – ich summe mit dem Finger in die Luft und zwicke mich dann in den Arm – wedelt sie mit der Hand und sagt: „ujuijuijuijui“.

Es ist Zeit, es ist heiß, hier ist für den Moment nichts mehr zu tun. Ich gurke zurück über die ratterige Piste durch den Wald nach Aljmas und mache mich auf den Rückweg nach Osijek, der mir trotz gleicher Entfernung etwas kürzer vorkommt. Da sind schon 65 km auf dem Tacho für heute.

Im Hotel Drava, wo ich mein Gepäck zurückgelassen hatte, trinke ich noch einen Kaffee und plaudere kurz mit der Rezeptionistin, der ich am Morgen die Adresse meines Blogs gegeben hatte. Außerdem feiert die kleine Mia mit großer Verwandtschaft ihren vierten Geburtstag, ich singe „Happy birthday, liebe Mia“ und darf den rosa Roller, einen rosa Ball, einen rosa Luftballon, die rosa Spielekiste und das aufblasbare rosa Minischwimmbecken bewundern. Der Papa googlet mir das Wetter und ich überquere gegen 14.30 Uhr auf einer schneeweißen Fußgängerbrücke in Osijek zum letzten Mal die Drau in Richtung Norden.

Über Beli Manastir und Udvar schlage ich mich über weitere 60 km ganz durch über die Grenze bis Mohács, bin fix und alle, aber auch zufrieden und beruhigt. Morgen wird es definitiv vorbei sein.

Abends noch ein Spaziergang durch das beschauliche, verschlafene Mohács, eine Stadt, die ohnehin nur an ein paar Tagen im Jahr für einen weithin bekannten archaischen Maskenkarneval erwacht. Und ansonsten hauptsächlich den Namen hergibt für die so folgenreiche „Schlacht bei Mohács“ im Jahr 1526. Hätten die Osmanen damals nicht die ungarisch-kroatischen Truppen unter Führung des 20-jährigen dem König Ludwig, der auf der Flucht vom Pferd fiel und verstarb, vernichtend geschlagen, wären „die Türken“ 160 Jahre später nicht schon wieder vor Wien gestanden. Und Prinz Eugen wäre eher eine Randfigur der Geschichte geblieben.

Für die Ungarn steht Mohács jedenfalls für DAS nationale Trauma,  als Synonym für den Beginn einer in der ungarischen Geschichtsschreibung und im kollektiven Bewusstseins als verhängnisvoll und erniedrigend empfundenen 160-jährigen Besatzung durch das osmanische Reich. Objektive Geschichtsschreibung ist aber nicht so ganz die Sache dieser Nation. Die Osmanen bauten für sich durchaus Moscheen, gewährten aber auch Religionsfreiheit. Jenseits der Eroberungskriege war der Alltag im Land weitgehend friedlich geregelt, sofern die Abgaben korrekt entrichtet wurden. Böse Zungen behaupten sogar, dass dieser 160-jährgen osmanischen Besatzung weniger Ungarn zum Opfer fielen als der österreichischen Geheimpolizei in der langen Zeit der Koexistenz der ungarischen und der österreichischen Monarchien und insbesondere den verschiedenen gegen Wien gerichteten Aufständen, einschließlich der  1848-er Erhebung.

Wie auch immer, die Gedenkstätte an die 1628er Schlacht in der Nähe von Mohács ist ein nationales ungarisches Heiligtum und darüber hinaus beeindruckend gestaltet. Dramaturgie und Inszenierung können sie ja ziemlich gut, meine ungarischen Achtelbrüder. Nicht uninteressant vielleicht noch zu erwähnen, dass es noch eine ganze Reihe weiterer Gedenkstätten an die osmanische Zeit  in Ungarn gibt und diese teilweise von der türkischen Regierung mitfinanziert wurden. Die meisten Schrifttafeln sind zweisprachig in ungarisch und türkisch gehalten. Und nicht nur ein osmanischer Sultan liegt noch heute in Ungarn zur letzten Ruhe.

Wenn es auch heute für mich auf dieser Reise überhaupt keine Rolle spielt, so musste dies doch wenigstens kurz angerissen werden. Mohács ist Mohács. Unter anderem gibt es deswegen hier überhaupt ein paar Hotels. Nach einer sehr mäßigen Pizza falle ich im Hotel Pannon nach diesem anstrengenden Tag sofort in einen Tiefschlaf, fast wie in eine Narkose.

Die Zahlen

Tageskilometer Rad: 122,9 (in zwei Teilen)
Fahrzeit netto: 7:41 Stunden
Gesamtkilometer: 1.418,5

Tag 17 – Die Bilder zum Bericht vom Tage

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Schnöder Einstieg in den Höhepunkt der Reise: Ausfallstraße aus Osijek in Richtung Aljmas
Hinten unten schon die Donau !
Hinten unten schon die Donau !
Donau, Aljmas, Auenlandschaft
Donau, Aljmas, Auenlandschaft
Aljmas, Marienwallfahrtskirche
Aljmas, Marienwallfahrtskirche
Donau bei Aljmas, irgendwo hinten unsichtbar die Drau
Donau bei Aljmas, irgendwo hinten unsichtbar die Drau
Auenlandschaft
Auenlandschaft
Auenlandschaft
Auenlandschaft

Kaum zu sehen: vor den Bäumen links hinten die Drau, vor den Bäumen rechts die Donau
Kaum zu sehen: vor den Bäumen links hinten die Drau, vor den Bäumen rechts die Donau

Hinter mir die Drau, der helle Streifen vor den entfernten Bäumen rechts ist die Donau
Hinter mir die Drau, der helle Streifen vor den entfernten Bäumen rechts ist die Donau

Traditionelles Mittagsmahl der Fischer in der Drauregion
Traditionelles Mittagsmahl der Fischer in der Drauregion
Zurück in Osijek, Hauptkirche
Zurück in Osijek, Hauptkirche
Zum letzten Mal über die Drau, Brücke in Osijek
Zum letzten Mal über die Drau, Brücke in Osijek
Osijek. Bye bye, Drau!
Osijek. Bye bye, Drau!

Tag 16 – Von Virovitica nach Osijek

Freitag, 26. Juni 2015

Der Plan

Auf geradem Weg in Richtung Osijek und möglichst heute noch dort ankommen.

Wie es war, was geschah

Osijek hat Straßenbahn. Als ich um 15.55 Uhr am Stadtrand auf eine an der Endhaltestelle wartende Tram treffe und Schienen sehe, kommt nach drei Tagen Fahrt durch verschlafene slawonische Kleinstädte und Dörfer der Wiedereintritt in die Zivilisation unerwartet und überraschend. Kurz vor der Innenstadt kann ich durch ein Parkgelände an die Drau fahren, von hier über eine Art Promenade , einen Bootshafen und schon bin ich im Zentrum. Dort wird auf einem Platz eine große Bühne hergerichtet, es gibt Stände mit slawonischer Wurst und Gepäck, Frauen in Tracht, einen Fiaker. Ein Radio- oder Fernsehteam interviewt mitten unter den Menschen den Chefkoch des Hotel Osijek und ein wenig auch sich gegenseitig. Bei der Suche nach einem Hotel durchfahre ich ein paar sehr schöne Straßen. KuK-Jugendstil, wie ich das aus Budapest, Pecs, Kecskemét und auch Prag kenne, nur alles etwas niedriger. Die größte Überraschung ist aber der beinahe urbane Flair und wie elegant die Leute herausgeputzt sind. In einer „American Bar“ gibt es einen Innenhof mit unverputzten Wänden, Wäsche an Leinen, fensterlose Fenster irgendwo oben. Eine der Rezeptionistinnen im Hotel Drava, in dem ich dann wohne, kennt den Laden – er ist neu – und findet ihn furchtbar, wie sie auch gerade das Urbane an Osijek nun gerade gar nicht leiden kann. Sie spricht ein sehr differenziertes amerikanisches Englisch, so dass man einmal wirklich etwas genauer nachfragen und sich verständigen kann. Sie ist am Wochenende lieber in ihrem Dorf irgendwo auf dem slawonischen Land und überhaupt seien die Leute hier heute nur so aufgebretzelt, weil Freitag Abend ist. Ich bin aber einfach spontan von der Stadt eingenommen und vom Flair dieses Abends im Freien und schreibe übermütige SMS an Gott und die Welt wie toll es hier ist. Das Konzert auf der Bühne erlebe ich nicht mehr, völlig übermüdet schleiche ich auf mein Zimmer und verschlafe auch das Frauen-Viertelfinle bei laufendem Fernseher gegen Frankreich. Rechtzeitig zum Ausgleichstor und dann wieder zum Elfmeterschießen gehen mir die Augen auf.

Gekommen bin ich 124 km über die Landstraße und dabei beinahe ohne Pause durchgefahren. Nach der Erfahrung bei der Hotelsuche in Virovitica wollte ich unter allen Umständen versuchen, in Osijek anzukommen. Die Hotelportale im www verzeichnen dort Unterkünfte ohne Ende, da kann kaum was schief gehen, und so war es dann auch.

Frühstück gab es am Morgen noch in der großen Wohnküche der Familie der Villa Magnolija, eine Riesenwahl Wurst und Käse, dazu Weißbrotstangen, aufgestapelt wie ein Haufen Brennholzscheite im Wald. Mit dem Hausherren schaue ich auf die Karte und beschließe keinerlei Kompromisse an Radwege oder verspielte Nebenstraßen zu machen.

Auf einen Zettel für die Rahmentasche notierte ich die Durchgangsorte meiner Strecke: Borova – Suhopolje – Oresac – Novaki – Vaska – Skopje – Noskovc – Cadavica – Moslavina P. – Donij Miholjac – Belisce – Alpovo – Osijek. Die ersten 30 km Ort für Ort, später nur noch die größeren Ansiedlungen. Irgendwo bei Moslavina treffe ich ohnehin auf eine mit der Nr. 34 gekennzeichnete größere Verbindungsstraße, dort gibt es wie erwartet eine Ausschilderung auch über größere Entfernung und auch Kilometerangaben.

Auf der Nebenstrecke am Anfang habe ich für fast 2 Stunden die bestens ausgebaute Straße für mich alleine. Kilometer vor und hinter mir keine Auto. Der einzige Schrecken der Landstraße ist ein alter mongolischer Traktor, der es nur langsam an mir vorbei schafft. Nach Erreichen der Straße  34 wird es voller, aber es bleibt erträglich. Ich stelle mich auf den Verkehr ein und habe stets eine Ausweichmöglichkeit nach rechts im Auge, für Situationen, in denen ich neben zwei Lastwagen bin, die in Gegenrichtung aneinander vorbeifahren. Erst die letzten etwa 20 Kilometer nach Osijek herein werden richtig unangenehm, da rauscht es nur so um mich her.
Das geht aber schnell vorbei und dann kommt die bereits geschilderte Einfahrt in die Stadt.

Kurz will ich erklären warum ich mir das antue: am 16. Tag der Reise überkommt mich das Gefühl, dass ich es jetzt zügig hinter mich bringen will. Noch die Draumündung und dann ab nach Mucsi und Schluss. Hier in der Ebene bin ich es plötzlich müde, allein zu sein und alleine zu fahren. Ein bisschen Gesellschaft wäre langsam ganz gut und das nicht nur, um abwechselnd im Windschatten fahren zu können. So richtig zieht es mich in den Stall als ich im Norden jenseits der Auwälder weit in der Ferne die beiden höchsten Erhebungen des Mecsek-Gebirges in Ungarn sehe, den Tettye und den Zengö, darunter, noch näher an mir, liegt Pėcs. Auf dem Tettye kann man sogar den Fernsehturm sehen. Kurz danach noch der unverwechselbare Villanyer Berg, auf dem die Reben für die teuersten ungarischen Rotweine stehen. Etwa 50 km hinter jener Kulisse liegt Mucsi und da will ich dann nun auch bald ankommen. Meine jetzige Route Route ist diesbezüglich ein großer Umweg.

Zu dieser Stimmung passend meldet sich zum ersten Mal auf dieser Reise mein Körper bei seinem Kopf: „Wenn Du da oben nicht mehr willst, kannst Du bitte schön mit mir auch nicht mehr rechnen.“ Abends habe ich plötzlich „Hintern“ und einen Krampf im Oberschenkel.

Zudem sehe ich die Drau seit Donja Dubrava nur noch sehr selten. In den letzten 24 Stunden genau 2 Mal: jeweils abends in Barcs und Osijek, von Brücken aus. Dazwischen lässt sie niemanden mehr an sich ran. Seit Donja Dubrava hat es ein Ende mit dem Stauen und der Regulierung der Flussufer. In den Nationalparks Mur-Drau, Drau-Donau darf sie machen was sie will und bildet endlose Mäander, Auwälder, Nebenarme und sumpfige Schwemmländer, die letzten gänzlich unberührten Flusslandschaften im westlichen Europa. In diesem Streifen Wildnis gibt es aber keine Dörfer und Straßen, nur unbefestigte Stichwege fuhren hinein und die liegen natürlich quer zu meiner Hauptroute und sind Sackgassen. Einen vernünftigen Kompromiss gibt es nicht. Wer in diesen Abschnitten die Drau sehen will, muss eigens dafür an geeigneten Stellen Quartier nehmen und losziehen. Das passt jetzt einfach nicht in meinen Reiseplan, was mir aber kein Problem ist, da ich von Mucsi aus jederzeit in wenigen Stunden herkommen kann. Wer diese Möglichkeit nicht hat, sollte Aufenthalte für den Besuch der Auwälder einplanen und am besten auch zu Hause mit Literatur vorbereiten. Ich kann mir auch vorstellen, dass es geführte Touren gibt. Spontan und an beliebiger Stelle irgendwo an der Drau loslaufen würde ich nicht unbedingt.

So gesehen ist es ein reiner Arbeitstag auf dem Rad, da muss man jetzt halt durch. Das bedeutet aber nicht, dass ich schlechte Laune hätte, man kann auch vergnügt arbeiten. Und es gibt immer was zu schmunzeln: bei einer Kaffeepause in Valpovo dröht aus dem Lokal laute Blues-Musik. Ich bin der einzelne Gast und sitze draußen. Bei der Bestellung signalisiere ich der Bedienung mit Daumen nach oben, dass ich die Musik super finde. Er freut sich, dass ich das überhaupt wahrnehme und mit dem altmodischen Gitarrenkram was anfangen kann. Ich frage „Eric Clapton?“ und denke an neuere Aufnahmen oder ein Remake, es ist in irgendwie 70er-mäßig, klingt aber frischer. Aber es ist original Fleetwood Mac aus dieser Zeit, ein Album, das ich nicht kenne. „Oh, then the guitar player is Peter Green“. Jetzt hebt er den Daumen und der Cappucino geht auf seine Rechnung.

Die Zahlen

Tageskilometer Rad: 124,3
Fahrzeit netto: 6:40 Stunden, wenig Pausen
Gesamtkilometer: 1.298,6

Tag 15 – Von Donja Dubrava nach Virovitica

Donnerstag, 25.6.2015

Der Plan

Weiter durch die Drauebene in Richtung Osijek, Tagesziel irgendwo auf der Linie Barcs – Virovitica

Wie es war, was geschah

Am Abend in Virovitoca mit Müh und Not in einer privaten Pension – Villa Magnolja *** – untergekommen. Um es von hinten zu erzählen: nachdem ich erstmal hier war, war es ein Glücksfall. Mladen (?), der Hausherr, 70+, wartet nach wenigen Worten mit klassisch vorgezeigtem Zeigefinger und Daumen auf: „Ein kleine Schnaps?“. Jetzt geht einfach nur noch Anerkennung der Geste und Gastfreundschaft vor Vernunft, außerdem fühle ich mich Ende eines erneut übervollen Tages jetzt einfach danach und genieße die 4, 5, 6 cl Willie – einen Birnenschnaps vom Schwager – mit großer Dankbarkeit und Demut. Damit hätte ich heute wirklich nicht mehr gerechnet. Auch nicht mit zwei ofenwarmen Kuchenstücken, gefüllt mit Aprikosenmarmelade, die mir aufs Zimmer nachgetragen werden, kaum dass ich eingezogen bin.

Wo soll ich jetzt anfangen zu erzählen?

Am Morgen nach längerem Kartenstudium entschieden, dass ich mir von Donja Dubrava aus eine Route suche, die mich wie auch immer nach Gola an der kroatisch-ungarischen Grenze führt. Danach will ich nördlich der Drau auf der ungarischen Seite auf einer der der Karte einigermaßen geraden Linie bis Barcs fahren, wieder über die Grenze wechseln und im kroatischen Virovitica übernachten, um mich morgen von dort soweit wie möglich in Richtung Osijek weiterzubewegen. Dieses Ziel habe ich am Ende des Tages erreicht. Vieles was dazwischen liegt hätte ich mir anders vorgestellt, wenn ich auch nichts davon missen möchte, bis auf …., aber davon später.

Anfangs läuft alles nach Plan, auf dem Weg über Legrad begleiten mich sogar Fahrradwegsymbole, später sogar eine „DRAVA ROUTE“. Irgendwie sieht es eine Weile so aus, als wenn diese Wege so laufen wie ich mir das für mich zurecht gelegt hatte. Als es dann doch an einer Stelle anders weiter geht, beschließe ich der „DRAVA ROUTE“ mein Vertrauen zu schenken, wer weiß, vielleicht kann ich ja doch den ganzen Tag in Kroatien bleiben und un Richtung meines Zieles vorankommen. Als ich jedoch von hinten auf ein weitläufiges Gebiet mit unzähligen Baggerseen und einem Jugendferienlager zufahre, an dem ich vor einer halben Stunde auf der anderen Seite vorbeigeradelt bin, breche ich ab und setze Plan A wieder in Kraft. Jetzt zurück auf die Piste nach Gola und ab nach Ungarn. Aber wo es geht es von da wo ich jetzt bin dahin? Ich frage hintereinander zwei Leute auf der Straße und will die immer gleiche Antwort nicht glauben: weit zurück auf der Straße, auf der ich gekommen bin. Ich schlucke die Kröte und merke bald, dass es eine ganz andere Straße ist. Zeitweise habe ich das Gefühl für meine Position und für Richtungen verloren.

Bis ich wieder auf Linie bin, habe ich 10-15 Kilometer verschenkt, aber auch durch Hinweisschilder erfahren, dass ich im Drau-Mur-Nationalpark, später auf der ungarischen Seite im Drau-Donau-Nationalpark unterwegs bin.

Auf Gola zu läuft dann schließlich alles doch reibungslos, ich rolle meist mit Rückenwind, wie auch später noch einmal am Nachmittag, bei beinahe null Verkehr über meist brettflache Asphaltstraßen. Zeitweise komme ich mir vor wie ein Zeitfahrer: oben eine stabile unveränderliche Sitzposition, unten laufen die Beine auf in einer bestimmten Frequenz gleichmäßig wie eine Nähmaschine. Komme was da wolle.

An der Grenze ist der kroatische Posten gar nicht besetzt, das Personal ist auf der ungarischen Seite in Gestalt einer kroatischen und einer ungarischen Beamtin zusammengezogen. Die inspizieren gerade ein leeres blaues 200-Liter-Plastik, das ein Ungar in die Heimat bringt iert und aus dem offenen Kofferraum eines rostigen Lada ragt. Befragung und Antworten haben etwas von Schilda, denn rein ins Fass schaut natürlich niemand, es wird nur ein wenig dagegen geklopft.

Als ich dann dran bin, liest die Kroatin ein wenig in meinen scheckkartengroßen Personalausweis hinein und reicht ihn wortlos an die Kollegin weiter. Die sagt „Jó napot“ und ich auch. Wir wechseln noch ein paar Sätze auf ungarisch – Sie kommen wohl öfter hierher? Ja, Haus im Komitat Tolna, Mutter dort geboren, Frau wartet schon auf mich, aber erst noch Osijek und an die Draumündung – und ich merke peinlich berührt wie sie charmant lächelnd beinahe dahinfließt. Als ich wieder losradele, sagt sie noch „joj“ wie weiland Piroschka Pulver, hebt aber leider nicht die Kelle zur Zugabfahrt und pfeift auch nicht. Das war dann eben doch ein anderer Film. Obwohl, eine Schildmütze hätte sie schon aufgehabt…

Etwas ähnliches dann noch einmal mit der etwas älteren Bedienung eines Cafės, die es freut, dass ein Ausländer ein wenig ungarisch spricht. Ich genieße so eine Art Heimspiel und bekomme vorgeführt wie ein klitzeklein-wenig ich mittlerweile nun auch in diesem Land verwurzelt bin.

Was sonst vom Vormittag hängen geblieben ist: irgendwo unterwegs ein auf der Gegenfahrbahn stehen gebliebenes Auto, der Fahrer liegt auf der Fahrbahn und inspiziert die Stoßstange von unten. Ich denke, dem wird halt sein alter Blechhaufen auseinander fallen und sehe erst spät den niedergestreckten Jungfuchs neben dem Wagen liegen, kaum größer als einer dieser verwöhnten Nordendkater.

Das sagt schon einiges über die Gegend hier aus, dass die Füchse am helligten Tag auf der Gasse rumlaufen und auch mittags den Hasen gute Nacht sagen. Ähnlich erhellend, dass seit ein paar Tage die Zahl der Storchennester pro Dorf beharrlich zunimmt, die finden ohne Ende Futter für den zahlreichen Nachwuchs, der derzeit schon 3/4 der Größe der Altvögel erreicht – oft drei in einem Nest -, aber noch schwarze Schnäbel hat und nicht fliegen kann. Dem gegenüber nimmt wiederum der Zahnbesatz der einfachen Menschen auf der Straße umgekehrt proportional ab. Einer meiner wegweisenden Gewährsleute vom Vormittag hatte noch so 50% zu bieten und fragt wie alt ich bin, dazu natürlich nach Frau und Kindern. Er selbst sei 40. Ich hätte ihn für 50+ gehalten. Ich sage „zweiundsechzig“ und zeige sicherheitshalber erst 6, dann 2 Finger. Er lacht: „ich alt, du jung!“. Das Witzchen erscheint mir etwas sublim, ich lasse es gut sein. Nachdem ich weitergefahren bin dämmert mir, dass er mich für 26 gehalten haben könnte. Sei’s drum. Ich hatte ja meinen Helm über den Silberstoppeln und er schon am Vormittag ordentlich einen im Tee. Was Wunder also.

Die letzte Schote am Vormittag war meine fixe Idee, aus der Reise eine Reise-2.0 zu machen: die WordPress-app auch auf meinem Fon installieren und Geschichten wie die vorigen beim Fahren per Spracherkennung direkt im Fahren posten. Geht das?

Dann kam die Grenze, kam Piroschka, die Mittagspause, ein ungarisches Bohnengulasch und der große Schock. Ich hatte all das, was ich bisher erzählt hatte bereits beim Suppellöffeln ins Tablet getippt als die Datei nicht mehr zu speichern und nach Schließen des Programms auch nicht mehr zu öffnen ist. Futsch, alles futsch und umsonst. Die eingeschobene Speicherkarte hat eine Macke. Alles weg und vergebens.

Auf dem anschließenden Ritt über 40 km nach Barcs bereue ich meinen Übermut-2.0, nichts ahnend, dass mich das Thema später noch einmal harsch einholt. Ich gebe noch mehr als am Vormittag Gas und fahre über 2 Stunden einen Schnitt von über 20 km/h, wissend dass ich am Abend nachsitzen muss, wenn ich die Geschichten nicht verlieren will. Aber jetzt kann ich das nicht ausbügeln und nehme erstmal zwei neue Episoden auf: gegen halb vier schnüre ich zügig an drei jungen Damen mit sinti-roma-Hintergrund vorbei – hier schnörkellos Zigeunerinnen geheißen -, die auf verbeulten Rädern von irgend einer Arbeit kommend nach Hause eiern. Ihr aufmunterndes Gejohle baut mich auf. Genau wie kurz drauf eine Gruppe von 4 halbwüchsigen Jungs auf Rädern. Einer ruft mir zu: „Egy versėny – Ein Rennen?“. Er fragt aber nicht, ob ich eines fahre, sondern bietet mir eines an. Kurz darauf fliegt er an mir vorbei: „Ėn vagyok gyorsobb – Ich bin schneller“. „Biztos. – Sicher“. Er fällt wieder zurück und lässt es wieder gut sein, während ich stoisch mein Tempo durchziehe. Nach einer halben Stunde hätte ich aber schon gerne gewusst, welche Farbe er angenommen hätte wenn er bisher mitgehalten hätte.

Barcs gegen 17 Uhr, eine letzte Kaffeepause, jetzt bleiben noch 16 km über die nahe Grenze ins kroatische Virotiviva, dort in irgend ein Hotel. Da ich seit Abfahrt heute morgen vom Rad aus nicht eine einzige Unterkunft gesehen habe, gehe ich sicherheitshalber noch in Barcs mit dem Fon ins Netz und checke ein einschlägiges Portal. Sieht nicht so gut aus. Auch nicht in Barcs, für den Fall dass ich jetzt hier bleiben würde. Sicher wäre nur ein relativ teures Haus noch 10 Kilometer weiter als Virotivica. Dann gibt es dort wohl noch was nicht so dolles, das ich nicht buche, obwohl ich es könnte. Die Portale haben ja nicht alles, es muss da doch einfach noch so was zu finden sein.

Jetzt flott. Ritt ex Barcs wie gehabt, zügig, trotzdem der Tacho bald 110 km Tagesstrecke anzeigt. Geschafft, aber kein Hotel in der Stadt. Nur das besagte 10 km weiter und noch ein weiteres, ebenfalls weit weg. Ich frage dreimal Passanten, die auch keinen Plan haben. Zweimal werde ich Ortsmitte auf ein Gebäude verwiesen, das wohl tatsächlich einmal ein Hotel war, aber nicht mehr ist. Später wird Mladen*** mir erzählen, dass es nach der zeitweisen Belegung mit innerkroatischn Flüchtlingen während des Balkankrieges nicht mehr wieder eröffnet wurde.

Im Moment aber überkommt mich zunehmende Unruhe und ich ergreife den Strohhalm-2.0. Ich wähle mich wieder ein und buche die nicht so dolle Unterkunft. Dann gehe ich vollends aufs Ganze und lasse mich vom Navi des Buchungsportals sprachgesteuert zur Unterkunft lotsen. Der Weg führt aus dem Zentrum in ein schäbiges Industriegebiet, es wird also eine Absteige für Brummifaher. Sei’s drum. Aber auch das zerschlägt sich bald. Ich lande bei einer Tankstelle mit einem Rückgebäude „Restaurant und Zimmer“. Das wäre es also gewesen. Aber überall hängen Zettel – Tankstelle, Restaurant, Fenster: am 25.6. geschlossen. Die Baggage hat vergessen, den Tag beim Buchungsportal abzumelden!

Glück im Unglück im Glück im Unglück: unterwegs zu diesem Trauerspiel war dann doch noch ein Hotelschild ins Auge gefallen, dem ich dann schließlich gefolgt bin.

Und dann kam Mladen mit dem Birnenschnaps und dem warmen Kuchen und alles ist gut.
Und jetzt gehe ich ins Bett, es ist zwar schon 0:45, aber das Nachsitzen-2.0 und das Noch-einmal-alles-von-vorn-schreiben waren nicht so arg schlimm und haben sich gelohnt. Manches wird ein wenig anders, manches sogar besser. Heute morgen hatte ich das mit der Piroschka Pulver und den Zahnarzt noch nicht im Text. Na bitte.

Die Zahlen

Tageskilometer Rad heute: 119,8
Fahrzeit: netto 6 Stunden 15, Mittagspause
Gesamtkilometer: 1.174

Tag 14 – Von Maribor nach Donja Dubrava

Mittwoch, 24. Juni 2015

Der Plan

Drauabwärts, Tagesziel wetterabhängig, die. 1.000-Kilometer Marke knacken

Wie es war, was geschah

(Das folgende Stück ist nicht Korrektur gelesen!)

Maribor gegen 8.45 Uhr bei trockenem Wetter verlassen. Den Abend gestern im Zimmer verbracht. Die Innenstadt, wo ich nacn den Eindrücken des letzten Besuches reges Kneipenleben erwartet hatte, war ausgestorben. Die wenigen geöffneten Restaurants und Bars sind gähnend leer und verbreiten Tristesse. Vor einer Bierbeize steht eine Gruppe kalauernder, rauchender Männer, aus der es dröhnt: „I said to him, don’t arrange me any women!“. Ein Busfahrer rast einhändig lenkend um eine Kurve und beißt in die mit der anderen Hand gehaltene Waffel einer Eistüte. Bei Spar kaufe ich Brötchen, Schoko, Schinken und Rotwein. Das war Maribor.

Auf örtlichen Radwegen taste ich mich nach Gefühl aus der Stadt heraus, finde einen Kurs und treffe bald auf einen Radweg, der bis Ptuj ausgezeichnet ist. Was jetzt klar wird: auf der Bahnfahrt von Vuhred nach Maribor habe ich die Alpen im eigentlichen Sinne verlassen. Die Drau durchfließt jetzt ein mitunter 20, 30 Kilometer breites Tal, die höheren Berge auf der Südseite zu meiner Rechten, hinter denen ganz in der Ferne Zagreb liegen müsste, sind manchmal nur noch ganz schemenhaft zu sehen. Die linke Seite des Tals oder jetzt besser der Drauebene bildet eine grüne wald-, wiesen- und weinbestandend endlose Hügelkette, die sich jetzt beinahe bis zur Mündung in die Donau dort halten wird und nördlich der Grenze in Ungarn fortsetzt.

Die Drau – oder das, was von ihr übrig ist – schlängelt sich immer an den Hügeln an der linken Seite des Tals entlang. In ihrem alten Bett gibt sie mit lehmigen Sandbänken und wucherndem Ufergrün eine idyllische Kulisse für Angler ab, hat aber den Großteil ihres Wassers an einen schnurgerade durch die Ebene gezogenen Kanal abgegeben, der zuerst in Slowenien, später in Kroatien jeweils in einen etliche Kilometer langen Stausee übergeht. Aber anders als in Kärnten haben weder Kanal, noch die Stauseen irgendwelche natürlichen Begrenzungen durch Berghänge oder fügen sich in eine Tallandschaft ein. Es sind einfach in der spiegelglatten Ebene Dämme aufgeschüttet, die mit dem minimalen Gefälle immer höher werden. Am unteren Ende stehen sie dann wie gefühlt 20 Meter hohe Badewannen in der Landschaft und speisen wohl meist Kraftwerke. Beim Passieren der Staufstufe vor Donja Dubrava am späten Abend wird mir bei diesem Gedanken etwas plümerant. Ich bin nicht sicher, ob so etwas bei uns genehmigungsfähig wäre. Fast möchte ich die Dämme einem gewissen sowjetischen Gigantismus unterschieben, weiß aber auch, dass die Regulierung der Flüsse in dieser Region – auch weiter nördlich in Ungarn – bereits mit der Industrialisierung, der Trockenlegung der malariverseuchten Flussniederungen und der Erschließung von Verkehrswegen und neuem Ackerland begonnen hat. Das kann also alles durchaus auch schon älter sein.

Die Fahrt entlang der pittoreken Hügelkette führt mich nach Ptuj, später nach Ormoz. Meist fahre ich unten, die wenigen Schnitte in den Hang buche ich heute erstaunlicherweise unter „fun cycling“, sie unterbrechen angenehm die gleichförmige Bewegung. Und ganz neu: wenigstens bis zu einer gewissen Steigung finde ich zunehmend Vergnügen auch am Bergauffahren. Im Flachland rechts jede Kürbisfelder, an der Straße immer wieder Häuser und Höfe, die eigenes Öl pressen und verkaufen. Alles picobello, gediegen, erinnert mich entfernt an kleine Olivenölbetriebe in Istrien.

Kurz vor Ptuj wimmert das Hinterrad wie ein Quietscheentchen. Nachdem es durch Gesundbeten nicht weg geht mal wieder Boxenstop am Wegesrand. Ich muss zwar mal wieder alles abladen, das Rad auf den Kopf stellen, habe aber Glück. Eine Gummimanschette über dem Ende der Achse, von der ich fast denke, dass sie bei der Montage des Reifens hätte entfernt werden sollen, reibt sich an der sich drehenden Nabe. Das ist ja nun gar nichts, Glück gehabt. Ich schiebe das Teil ein wenig nach außen und schon ist Ruhe. (An dieser Stelle fängt das Tablet plötzlich das Sprechen an und eine Dame liest mir meinen Text vor, beinahe flüssig und mit der richtigen Betonung. Sie ist allerdings auch so frech, mir die Tippfehler zu buchstabieren. Ich habe keine Ahnung, welchen Knopf ich versehentlich gedrückt habe. Wer kann helfen?)

Ptuj hätte ich beinahe übersehen oder besser unterschätzt. Es geht eine unscheinbare Straße hintunter, vor mir ragt die wenig interessante Rückseite einer zwar großen, aber nicht umwerfenden Burg auf einem Bergrücken auf. In die dahinter liegende Stadt fahre ich zunächst nicht, der Verkehr wird auf eine triste Umgehung geleitet. Erst am anderen Ende rolle ich zurück in eine kleine Fußgängerzone und fotografiere das imposante Jugendstilrathaus.

Wenige Kilometer nach der Stadt bekomme ich dann doch noch ein paar Informationen. Meine Frage an einen etwa vierzig Jahre alten Mann nach dem Weg wächst sich zu einem dreißigminütigen Gespräch aus. Er spricht perfekt deutsch mit einem hiesigen, wenn auch nicht slowenischen Akzent. Wie ich mütterlicherseits in Ungarn aus einer „schwäbischen“ Familie komme, stammt er hier aus einer „steierischen“ Familie. Und schon sind wir wieder mitten drin in den Wirren des 20. Jahrhunderts in dieser Region. 1. Weltkrieg, 2. Weltkrieg, kalter Krieg, Wende. In der KuK-Monarchie war das hier die Untersteiermark. Ptuj war Pettau und „über 800 Jahre unter der Krone“, sagt der Herr, genau wie Marburg, das jetzt Maribor heißt. Dort gab es 10.000 Deutsche. Ich erkundige mich wo genau die alte Grenze von der alten Untersteiermark zum damaligen Königreich Kroatien-Ungarn lag. Wir streifen die Umverteilungen und Staatenneubildung nach dem ersten und die frühe jugoslawisch-sowjetische Zeit nach dem zweiten Weltkrieg und wissen, dass wir in ein Wespennest gestochen haben und niemals ein Ende finden werden, wenn wir jetzt nicht einfach aufhören. Daher Handschlag, „angenehm“, auf Wiedersehen.

Vom weiteren Weg über das verschlafene Ormoz bis zur Grenze ist wenig zu erzählen, es geht flach wie am Morgen weiter, nach Ptuj fahre ich ein paar Kilometer auf dem dem Damm eines Stausee, danach wieder in der Ebene. Die kroatische Grenze überrascht mich. Vor mir nur ein Zettel mit Ortsnamen, die ich durchfahren will, abgelesen von einer Karte, auf der die Grenzde sehr undeutlich markiert ist. Ausweiskontrolle, dann normal auf der Straße weiter. Bald ein erstes Schild mit Fahrradsymbol und Zielangabe „Donja Dubrava 54 km“. Wie praktisch, das passt, genau meine Richtung. Wie sich im Laufe des Tages herausstellt, bedeutet das nicht unbedingt, dass es über einen Radweg geht, aber ich aber werde auf wenig befahrenen, mal mehr oder weniger guten Nebenstraßen zu weiter entfernten Zielen geleitet, ohne allzu oft die Karte auseinander falten zu müssen.

Mit Überschreiten der Grenze, das wird bald immer deutlicher, bin ich wieder in einer anderen Welt. Nicht nur, dass jetzt gar keine Berge oder Hügel mehr zu sehen sind. Es ist ist hier nichts mehr picobello paletti. Slowenien war in gewisser Weise noch EU-Komfortzone. Jetzt bin ich in Slawonien, dem ärmlichen Norden Kroatiens. Schäbige Dörfer, unverputzte Häuser, Schweineställe. Weniger Ölkürbisse, mehr Kartoffel, Mais und vor allem Kraut. Irgendwo wurde frisch geschnitten, ein Geruch von geknicktem welken Kohl weht über die Straße.

Die letzten 2 Stunden rolle ich – nach über 100 km! – mit erstaunlich hoher konstanter Geschwindigkeit durch das brettflache Land. Das Ziel ist jetzt klar mit Donja Dubrava, der Nähe des Zusammenflusses von Drau und Mur, zumal es auch vorher keine Unterkunft mehr geben wird. Irgendwann unterwegs fällt eher beiläufig die 1.000 km-Marke auf dieser Reise. In Prelog versorge ich mich mit Kuna in bar, am ersten Automaten, der mir seit der Grenze unterkommt.
Eine Stunde später in Donja Dubrava. Der Ort trotz dieses spektakulären Namens so uninterressant, dass es fast schon wiedwr interrsant wird. Ebenso das Hotel Golf, das vielleicht auch eine Geschichte wert wäre, wie überhaupt vieles auf dieser Reise, das nur angeschnitten oder überhaupt ganz ausgelassen wurde,.

Aber morgen geht es gleich weiter. Wie genau wissen vielleicht die Krautbauern, ich weiß es nicht. Auf markierte Radwege kann ich kaum mehr hoffen, klare Linien bieten nur die großen Überlandstraßen, die ich wenn es geht meiden will. Sonst sieht die Landkarte rund um die sich schlängelnde Drau aus wie ein unsortierter Haufen mal dicke, mal dünne Spaghetti.

Hier sind alle meine bisherigen Vorbereitungen zu Ende.

Die Zahlen

Tageskilometer Rad: 137
Gesamtkilometer Rad bis heute: 1.054,5

Fahrzeit Rad heute: um die 8 Stunden, zzgl. Pausen